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24.02. – 11.03.2018 von Bariloche nach Santiago de Chile

Nach dem Abschied von Janine und wenigen Tagen zum Sortieren geht’s weiter – zurück auf die Piste, um den See herum nach Villa La Angostura.Im Urlaubsort der scheinbar besser betuchten Gäste, die die Natur am liebsten durch das Fenster ihres Spa-Hotels sehen übernachte ich bei Vinz und seinen drei Mitbewohnerinnen – allesamt deutsche Freiwillgendienstleistende (weltwärts), die nach dem Abi hierher kamen um im Ort ein Laienorchester zu betreuen und Musikunterricht zu geben. Klingt nach einem spannenden Projekt. Nach Abendessen und Spaziergang zum See teile ich mir das Wohnzimmer mit einem weiteren Couchsurfer. Zum Frühstück speisen wir Müsli und Pan Aleman bevor ich mich zur Sieben-Seen-Tour (Siete Lagos) nach Norden aufmache. An die Seen kommt man leider an wenigen Stellen ran, um so schöner ist der offizielle Wildcampplatz am Flußufer – Trinkwasser gibt’s auch, beim nahegelegenen Bezahlcampingplatz. Unterwegs treffe ich einige leichtbeladene Bikepacker und Mountainbiker, die aber trotzdem nicht rascher über die Berge kommen (solche Lappen ;)). Besonders beeindruckend ist jedoch die tiefgebräunte Soloradlerin, die mit 67 Jahren unterwegs nach Süden ist und tagsüber nur gesüßten Tee zu sich nimmt – wäre ernährungstechnisch ja nicht so meins. Neben mir zeltet ein japanischer Feuerwehrmann, seit 3 Jahren unterwegs inklusive Kühlbox auf dem Gepäckträger– der bräuchte mal wieder ´nen Reifenwechsel: Normalerweise sollte man spätestens tauschen, wenn die blaue Schicht des Pneus zu Tage tritt. Bei ihm dachte ich jedoch erst an ein Sondermodell: die gesamte Lauffläche beider Reifen war bereits blau (letzte Wechsel in Kalifornien bzw. Panama). Vor der Carretera Austral mit ihrem Schotter sollte er also doch mal wieder über neue Schlappen nachdenken.

Weiter geht’s nach San Martin de los Andes – über eine kräftige Steigung und lange bergab am See entlang. Da ich bereits Mittags dort ankomme und der Wind günstig steht, geht’s noch 45 km weiter nach San Junin de los Andes mit dem Vulkan Lanin im Blick.

Nach wie vor ist es sommerlich – kein Tag unter 20 Grad, der Wind kommt jedoch nicht immer aus der „richtigen“ Richtung. An diesem 1. März gibt es Gegenwind und von 800 m ü NN geht es über den 1200 m hohen Pass – zum Großteil auf Asphalt, lediglich 10 km im Nationalpark sind Schotter der schlechteren Sorte. Zum Mittag erreiche ich nach 70 km die Passhöhe und mache Mittag am Fuße des Vulkans. Sonderlich gemütlich ist es hier nicht – trotz Sonne, WIFI der Nationalparkverwaltung und einem einfachen Campingplatz. Außerdem habe ich in Pucon noch eine Couch für diese und die nächste Nacht in Aussicht. Also geht’s nach ausgiebigem Mittag weiter – nochmal 75 km, ein gutes Stück bergab vorbei an Araukanien, See, Felsformationen, einem wunderbaren Fluß, dessen Anrainer gern darin baden und Baumhäuser bauten – überhaupt ist fast alles aus Holz gebaut, auch die Tankstelle. Reife Brombeeren am Straßenrand und ein Kiosk mit Zitronenkuchen sowie „Mote con Huesillos“ (Getreide in süßem, kaltem Tee mit eingelegtem Pfirsich) versüßen die weiteren kurzen Stops. Dabei ist es so warm, dass ich doch gern an einer der Auen gecampt und gebadet hätte. Nach dem bisher längsten Tag mit 145 km erreiche ich Pucon auf 200 m ü NN – eine trubelige, touristische Stadt. Aber zum Glück ist Saisonende. Bei Maria beziehe ich meine „Couch“ – ein eigenes Zimmer mit Bad und revanchiere mich mit vernünftigem Salat, der anders als der landestypische nicht nur aus Zwiebeln und Tomate und mit Glück ein bisschen Grün besteht. Meine Gastgeberin verkauft Erlebnistouren in einer Agentur, die Besteigung des Vulkans Villarica buche ich dennoch bei der sehr guten Konkurrenz und ziehe nach zwei Nächten wie vorgesehen in ein wunderbares Hostel mit Enten, Hund, Slackline, Hängematten, Tischtennistisch und mehr.

Die Tour auf den Villarica beginnt noch vor Sonnenaufgang – 6.30 Uhr ist Treff am Agenturbüro, die am Vortag ausgewählte Ausrüstung wird übergeben bzw. angezogen und lwir werden zum Start des Aufstiegs gefahren. Drei Guides und mit mir sechs Möchtegernalpinisten mit Helm, Steigeisen, Eishacke und Gasmaske steigen in den Kleinbus, der uns zur Talstation des Vulkans bringt. Oben am Gipfel hängen hartnäckige Wolken und wir werden aufgeklärt, dass wir vielleicht nichts sehen werden oder gar abbrechen werden müssen, sollten sich die Bedingungen verschlechtern. Entscheiden Sie jetzt: Umkehren und an einem anderen Tag nochmal probieren oder es wagen – ohne Geld zurück. Nach 15 min steht fest, alle wollen es versuchen. Mit den Worten der Brigade Futur III: Alles wird gut gegangen sein werden. Kurz darauf sitzen wir im etwas in die Jahre gekommenen Sessellift (gut festhalten, kein Sicherungsbügel) – alternativ hätte man auch eine Stunde durch Vulkanasche zum Beginn des eigentlichen Weges hinauf laufen können. Von dort sind es noch gut 900 Höhenmeter hinauf zum Krater – ab 9 Uhr laufen wir immer hinter einem der Guides entlang, beständig in recht langsamen, aber angenehmen Tempo und regelmäßiger Pause. Die beiden anderen gehen weiter vor oder helfen bei Bedarf den Gebrechlichen. Später werden die Steigeisen angelegt, um über die Eisfelder am Hang gehen zu können, die Eisaxt ist nützlich als Wanderhilfe. Ein englisches Pärchen ist scheinbar keine Höhen über 150 m gewohnt, beißt sich aber tapfer durch. Es geht vorbei an der Ruine eines alten Lifts, der bei einem früheren Ausbruch (in den 1970ern?) zerstört wurde. Der Villarica zählt zu den aktivsten Vulkanen des Kontinents, der letzte Ausbruch vor einigen Jahren hatte jedoch keine Folgen für die Menschen im Tal. Im Winter werden die Hänge zum Skigebiet. Unterwegs sieht man leider nichts vom Tal, den umliegenden Seen und Vulkanen – die Wolkendecke ist zu dicht und wir mittendrin. Zum Mittag gelangen wir zum Krater (2840 m) und stehen wörtlich über den Wolken. Aus diesen ragen der Vulkan Lanin und andere Gipfel heraus – ein fabelhafter Anblick. Im Krater ist, wie uns erklärt wird, zu viel Feuchtigkeit und damit Dampf, sodass man leider nicht sonderlich tief sehen kann. Die aufsteigenden Schwefeldämpfe reizen dafür umso mehr die Atemwege und Augen – trotz Gasmaske wird kräftig gehustet. Der größte Spaß folgt aber erst noch: Der Abstieg erfolgt nicht immer auf den Beinen. Gut ein Drittel der Strecke rutschen wir in Rinnen über verschiedene Eisfelder hinab: Mal auf dem blanken Hosenboden (der gestellten Überhosen), mal auf einem Arschleder aus Kunststoff – die Eisaxt immer nah an der Hüfte als Bremse. Gelingt es nicht, das Tempo damit ausreichend zu regulieren, fliegt man auch mal aus der Rinne, dreht sich und rutscht den Hang rückwärts hinab. Die Guides sehen das nicht so gern, aber dieser kleine kurzfristige Kontrollverlust fetzt! Die Engländer landen allerdings deutlich weiter neben der Spur und versuchen dann wieder heraufzukraxeln – ohne Schadenfreude witzig anzusehen. Die letzten Meter geht es mit Schnee in der Hose über Vulkanasche hinunter zum wartenden Kleinbus. Nun sieht man auch das Tal endlich wieder. Nach etwas Obst und Zielbier in der Agentur bleibt noch ein ganzer halber Tag.

Diese Tour könnte (!) man übrigens auch allein, also ohne Agentur, machen – verlaufen würde man sich auf Grund der vielen geführten Gruppen wohl kaum. Aber so müsste man den Transport zur Talstation und auch zurück organisieren (je 1 Autostunde), die Genehmigung der Parkverwaltung einholen und sämtliche Ausrüstung mieten (Eishacke, Steigeisen, Helm etc werden von der Parkverwaltung verlangt und überprüft, Gasmaske empfohlen; das Arschleder, Stiefel und die gestellte Oberbekleidung erwiesen sich als sehr gut und schonten die eigenen Klamotten). Nicht zuletzt war die Einweisung, wie und wo man richtig/sicher herunterrutscht nicht ganz unnütz. Zwei Typen sahen wir beim Aufstieg, die nach den Rinnen hinunter fragten und diese dann mit Mülltüte unterm Popo herunterrutschen wollten. Vielleicht war dies nicht des cleverste Idee. Ich bereue jedenfalls nicht, die etwas weniger abenteuerliche Variante gewählt zu haben.

Also, was tun mit dem nun sonnigen Nachmittag? Seit Villa la Angostura habe ich den Salto del Claro im Kopf – mein Host Vinz zeigte mir ein Video seines Besuchs und schwärmte davon. In Laura, die mit auf der Vulkantour war und eigentlich gerade auf Dienstreise für die bayerische Umwelthilfe in der Region ist, aber heute frei hat, finde ich eine begeisterte Mitstreiterin. Nach dem Mittag geht’s per Rad der wagen Wegbeschreibung nach zum „versteckten“ Wasserfall im Wald. Viele bekommen den Hinweis zum Besuch dieses schönen Ortes als Gast des ChiliKiwi-Hostels im Ort – betrieben von einem Neuseeländer, der eine handgezeichnete Karte mit dem Weg bereit hält. Mittlerweile findet man die Wegbeschreibungen aber auch online. Nach ein bisschen Suchen, steilen Sträßchen und Brombeeren am Wegesrand (wiederhole ich mich?) sowie einer falschen Abbiegung (den verblassten Pfeil am Baum inmitten des Waldes konnte man wirklich kaum sehen) gelangen wir zum wunderbaren Wasserfall – ohne Frage, da muss man baden, auch wenn die Sonne nicht mehr so kräftig scheint. Der Druck des fallenden Wassers ist immens, auch hinter die Kaskade gelangt man. Zwei Jungs klettern noch ein bisschen mehr rum und kommen so in die kleine Höhle neben dem Fall. Der Kessel rundherum ist wahnsinnig grün, die Vegetation durch den Wasserdampf eine ganz andere als im Wald rundherum. Zwar ist das Wasser auch hier sehr frisch, aber wunderbar! Was für ein Tag: Hinauf zum Vulkankrater, hinunter gerutscht auf Schnee und zum Schluss noch im subtropisch anmutenden Wasserfall gebadet. Gefällt mir richtig gut!

Nach insgesamt drei wunderbaren Pausentagen (inkl. Vulkanbesteigung) in Pucon mit dem vorerst letzten leichten Regen am Tage (bis zum 1. April 2018) für die nächsten Wochen ging es am 5. März weiter – mit viel Sonne und deutlich über 25 Grad auf der teils stärker befahrenen Landstraße vorbei an Brombeeren, Ausblicken auf den Vulkan Villarica und reifen Brombeeren, die gepflückt werden wollten, durch den Ort Villarica mit nochmaligem Blick auf den gleichnamigen Vulkan und schwarzem (künstlich geschaffenen) Strand … und noch mehr Brombeersträuchen zur Ruta 5, DER Autobahn, die ich teils schon rund um Chiloe fuhr und auf der ein größerer Abschnitt der Panamerikana verläuft. Von hier bis Santiago gab es schöne Tankstellen zum Rasten und Campen, einen meist guten Seitenstreifen, viel Wald und Verkaufsstände am Straßenrand, zwei Fahrspuren je Richtung, mäßigen Verkehr, leider auch sich lange in den Tälern haltenden Rauch aus den Wäldern oder von angrenzenden Grundstücken (was auch immer da verbrannt wurde), vor Santiago dann mehr Wein und die (intakte) Eisenbahnlinie mit netten Brücken. Am Horizont tauchten manchmal die Voranden auf, das war´s dann aber auch schon mit Highlights. Knapp 700 km von Freire nach Santiago waren nach knapp 6 Tagen abgehakt. Unterwegs stoppte ich zum Campen an den COPEC-Tankstellen, die auch Duschen zur Verfügung stellten (manchmal gar eine Truckerlounge mit TV, WIFI und einmal auch einen Waschsalon), in mehr oder minder austauschbaren Städten (Los Angeles, Chillan, Victoria, Linares, San Fernando) und zu Beginn der Etappe auf einer Weide neben dem Truckstopp, 50 m von der Autobahn entfernt, wo mich der deutschstämmige Besitzer nach Einbruch der Dunkelheit mit seinem Jeep anstrahlte, mir nach kurzem Interview aber die Übernachtung gewährte – da ich Deutscher sei, sei das ohnehin kein Problem. Merkwürdiges Konzept, das Bleiberecht eines verzottelten Burschen an dessen Pass festzumachen. Apropos „deutsch“ – die ehemalige „Colonia Dignidad“ liegt knapp 50 km von der Ruta 5 entfernt, nennt sich jetzt „Villa Bavaria“ und wirbt mit vermeintlich deutscher Folklore auf Großplakaten um Gäste, die dort Speisen und Übernachten. Ein Besuch bei dem Verein spare ich mir jedoch und träume vom nächsten selbst gebackenen Brot – nur der Ofen fehlt, wobei irgendwann auch die Campingkocherversion ausprobiert wird.

In den Städten fand ich zumeist Unterkunft bei Couchsurfern, wurde am 8. März in Chillan gleich zum Frauentagsmarsch inklusive wiederholter Kreuzungsblockade eingeladen sowie von Vätern und Müttern der Couchsurfer mit Extraportionen zum Abend und Morgen versorgt. In Victoria schlief ich beim Haus-/Kultur- und Recyclingprojekt Oveja Verde – dem grünen Schaf (da eine NGO, ausnahmsweise mit Link) und „erarbeitete“ mir den Schlafplatz, in dem ich ein paar aus Bierflaschen gefertigte Gläser schliff. Neben Bierflaschen werden auch PET-Flaschen gesammelt, teils gebündelt als Wertstoff weiterverkauft oder aber einen neuen Nutzung zugeführt: Glasflaschen werden zu Gläsern, Lampenschirmen und anderem, wobei der Flaschenhals erst geritzt und dann mit heißem Draht sauber abgetrennt wird, Plastikflaschen zu Kunst und nützlichen Gegenständen. Mit den Verkaufserlösen wird das offene Haus mit Saal für Kultur und Workshops unterhalten, keiner verdient, jede/r hilft in der Freizeit, soviel er/sie möchte. Ein schöner Anblick in einem Land, in dem es nur wenige Pfandflaschen gibt, Müll verbrannt oder verklappt wird und, abgesehen von den tausenden Plastikflaschen an Schreinen für die Diffunta Correa, kein Kunststoff vom Restmüll getrennt wird.

Einer der schönsten Campingplätze dieses Abschnitts lag an einer Obstplantage, mit Pool und großer Küche. Als einziger Bewohner der Anlage ließ es sich dort wunderbar aushalten. Zwei mal wurden mir Mitfahrgelegenheiten quasi aufgedrängt – von einem älteren Herren um die 80 mit Zwiebeln und Knoblauch auf der Ladefläche des Pickups, der mich an einer Tanke ansprach für knapp 70 km und von einem Geschäftsmann, der mich an einem sehr heißen Tag freundlicherweise die letzten 40 km mit nach Chillan nahm. Manchmal ist es schön in Ländern unterwegs zu sein, deren Einwohner gern Wägen mit Ladefläche fahren. Zu sehen gab es abseits der Ruta 5 wenig – von den zu diesem Zeitpunkt eher trockenen Wasserfällen Saltos del Laja mal abgesehen. Die Autobahn ist auch für Radfahrer das, was sie nun mal ist: Eine Schnellstraße, nach Norden zu dieser Zeit auch oft mit etwas Rückenwind und nicht zu vielen Steigungen.

Mit ein wenig mehr Verkehr ging es schließlich nach Santiago hinein – da gerade Sonntag war, hätte ich es aber sicher schlechter erwischen können, was die Verkehrslage anging. Zu Santiago de Chile, Valparaiso sowie dem bisher höchsten Pass nach Chile (3824 m ü NN), Mendoza und mehr dann in den nächsten Beiträgen.