8.12. – 12.12. Rio Gallegos – Cerro Sombrero – Rio Grande (Bilder folgen bei Gelegenheit)
Aus der Abfahrt am 7. Dezember wurde nichts – nach Frühstück und Tee kam ich mit Tempo 8 – 10 km/h genau 5 km weit – bis an die Grenze des Industriegebiets am Ende der Stadt, bevor es mich förmlich vom Rad blies. Starker Seitenwind machte ein (sicheres) Fahren unmöglich, noch dazu sollte sich die Route später genau in den Wind (weiter nach Westen) drehen, dazu Schauer – keine Chance 120 KM bis zur Fähre zu gelangen. Trampen funktioniert heute auch nicht, ohne Windschutz zu warten ist zudem extrem unangenehm – im Wind reißt bzw. bricht der Ständer von Fritz – Gewicht, Wind und Alter (seit Neuseeland im Einsatz) machen auch dem stärksten Ständer den Gar aus. Wenn´s so bleibt, muss Ushuaia von der Zielliste genommen werden. Gegen Mittag bin ich zurück in der Innenstadt, wärme mich in einer Tankstelle auf und suche ein Hotel, um am nächsten Morgen wirklich um 8 Uhr auf´s Rad steigen zu können. Die freundliche Einladung eines jungen Motorradfahrers bei ihm unterzukommen schlage ich dankend aus, brauche heute mal Ruhe. Fritz übernachtet sicher in der Waschküche des Hotels. Schade: Die Dusche gibt nur kaltes Wasser ab.
Am nächsten Tag geht’s nach kleinem Frühstück im Hotel wieder auf´s Rad. Punkt 8 geht’s los mit Umweg über einen Bäcker – Sandwiches, Pan Dulce als kleines Mitbringsel für die nächsten Gastgeber (leider schon recht trocken, wie sich später herausstellt, aber schön anzusehen). Ein alter Hippie freut sich über mein Rad und macht gleich Fotos vom voll beladenen Fritz – vier Radtaschen, der Rucksack mit Zelt, Schlafsack, Isomatte und obendrauf neun Liter Wasser und Limo – sieht man hier vielleicht nicht so oft. Wer sich fragt, wie viel Masse das sein mag: die vier Taschen (Küche & Bad, Werkstatt/Ersatzteile & sonstige Ausrüstung, Klamotten (von kurzer Hose bis zum warmen Handschuh), Büro & Technik sowie Zelt, Wanderschuhe etc) wiegen ungefähr 35-40 Kilogramm, hinzu kommen Wasser (9 Liter) und Verpflegung – circa 3 Kilo, Fritz wiegt um die 18 Kilo. Zusammen mit mir rollen also um die 140 Kilo Systemgewicht über die Pisten. Weniger wäre schön, ist momentan aber kaum umzusetzen.
Die verschobene Abfahrt hat sich gelohnt – mit Wind aus Nordwest geht es gut voran, unterbrochen nur von einer Polizeikontrolle und den notwendigen stündlichen Pausen. Nach 65 Kilometern ist die Grenze nach Chile erreicht – Einwanderungsbehörde, Zoll und Landwirtschaftsbehörde checken die Papiere und auch (recht oberflächlich) das Gepäck. Frischobst, Wurst etc. hatte ich vorher vertilgt, meine Nüsse kann ich zum Glück behalten, die Chiasamen werden auch nicht beanstandet bzw. übersehen. An der Grenze gibt es noch ein schönes Mittag und kurzen Schnack mit chinesischen Motorradfahrern, die gerade ihre Panamericana-Tour beenden. Nach einer Stunde geht’s weiter. Hinter der Grenze Rückenwind, Abfahrten – so kann´s gern weitergehen!
Später ziehen jedoch Wolken auf, der Wind kommt stärker von der Seite und es schauert – die Regengarnitur kommt erstmals zum Einsatz. Über sanfte Hügel und die üblich karge Landschaft geht es bis zum Abzweig des Fähranlegers – wider Erwarten gibt es hier 20 km vor der Fähre doch noch eine kleine Siedlung mit ausgeschriebenem Hotel, welches ich heute aber nicht in Anspruch nehmen muss. Von da an ist es ein Genuss: Reiner Rückenwind, 16 km mit 30 km/h und einigen schönen Abfahrten. Ein VW-Bulli aus Pirna überholt mich – es ist immer wieder witzig, am anderen Ende der Welt europäische Kennzeichen zu sehen.
15.45 Uhr erreiche ich den Fähranleger von Punta Delgada – mit Bistro/Restaurant, Hosteria, kleinem Supermarkt und Klos mit Duschen wunderbar ausgebaut. Nach einem Kaffee mit deutschen Motorradfahrern setze ich über – 20 Minuten über die Magelanstraße, für Fußgänger und Radfahrer kostenfrei.
Die gegenüberliegende Seite(Bahia Azul) ist nicht ganz so gut ausgebaut, aber ich darf vor der Info und der kleinen Polizeistation zelten und den warmen Warteraum mit TV und altem PC bis 21 Uhr nutzen, mich sogar in der Damendusche waschen – die andere ist geschlossen. Auch hier gibt es wieder nur kaltes Wasser, das nach 5 Minuten ganz ausbleibt, aber besser als nichts. Die nette Kollegin der Info gibt mir für den Abend sogar noch den WIFI-Code des Verwaltungsnetzwerks, ein wunderbarer und sicherer Platz zum Campen, vor allem windgeschützt – der Wind frischt auf – 40 km/h laut App, für morgen ist Gleiches vorausgesagt mit Sturmböen bis 85 km/h, kann ja heiter werden!
Am nächsten Morgen (9. Dezember) packe ich früh das Zelt zusammen, frühstücke im Warteraum und starte gegen 9 Uhr – noch vor der ersten Fähre in Richtung Cerro Sombrero – bei KM 53 der Ruta 257 soll die Estancia von Valentina, meiner nächsten Couchsurferin sein – ein vermeintlich kurzer Tag mit 43 km, jedoch auch zunehmendem Seitenwind und Schauern. An den Zäunen entlang der Straße ist fast jeder Kilometer angezeichnet, teils sogar alle hundert Meter. Die verbleibene Distanz hat man also ständig vor Augen. Mittags erreiche ich Kilometer 52, trinke Kaffee im einzigen Restaurant – 5 Kilometer vor dem durch die Gasförderung geprägtem Dorf Cerro Sombrero. Valentina kehrt erst nachmittags zurück, also fahre ich erst mal in den Ort – eine Siedlung aus scheinbar sozialistischer Prägung: Ein Kino (bei nichtmal 5.000 Einwohnern, eine Begegnungsstätte/Club Social, kleiner Markt, ein Flugplatz, Werkstätten, Arbeitersiedlungen, Sportplatz und Gemeinschaftsgarten, Tankstelle, zwei Hosterias, Verwaltung, ein Krankenhaus und die neu erbaute Regionalschule mit Internat – alles im Betonbaustil der siebziger Jahre – am heutigen Samstag sehe ich genau sieben Menschen auf den Straßen. Auch die (heute jedoch geschlossene) Touristinfo mit luxuriösem öffentlichen WC ist brandneu. Im Vorraum dessen kann ich mich aufwärmen und habe sogar WIFI zum Zeitvertreib. Auch heute habe ich Glück: Valentina schreibt mir, sie wäre ohnehin gerade an der Klinik und könnte mich mitnehmen – Fritz kommt also mal wieder auf die Ladefläche eines Pickups und ein Missverständnis klärt sich auf: Die Estancia ist zwar am Kilometer 53, allerdings der geschotterten Ruta 259 (nicht 257) – und damit 60 Kilometer weiter in der Prärie, pardon, Pampa. Welch glückliche Fügung für mich! Die eigentliche Schaffarm ist in der Nähe des Punta Cataluna mit 6000 Schafen. Dort holen wir Umberto, Valentinas Sohn und die Hütehunde ab. Nach einem Braten zum frühen Abend geht’s dann eine weitere Stunde über Schotterstraßen nach Hause – die Distanzen sind hier einfach andere. Am Abend gibt’s dann „richtig“ Essen – Lammbraten ab 23:30 Uhr. Bis 2 Uhr halte ich durch, bevor ich mich auf meine gemütliche Couch am Gaskamin zurückziehe. Der Rest der (erwachsenen) Familie sitzt noch bis 5 bei Mate und „Germania“-Import-Bier aus Österreich in der Küche zusammen. Sonntag ist Ruhetag, Zeit, die Taschen zu sortieren, am Nachmittag geht’s dann nochmal nach Cerro Sombrero: Der Sohn hat heute Geburtstag und im Gemeindezentrum gibt’s einen schönen Kindergeburtstag mit Pinata und jeder Menge Essen. Valentina kocht und bäckt fabelhaft und ich kann jede Menge Energie tanken – nachdem ich die ungefähr 4.000 Kalorien pro (langem) Radtag erwähnte, bekomme ich ständig Essen gereicht. Gefällt mir! Im Tausch gebe ich Lungenkraft für die Geburtstagsluftballons und wir tauschen ein bisschen Musik aus.
Am Morgen herzlicher Abschied von der Estancia, natürlich nicht ohne selbstgebackene Brötchen von Valentina als Proviant. 60 km Schotter bis zur Grenze. Allerdings ist dieser lockerer als gedacht, der Weg kurviger und welliger als vermutet – höchste Konzentration beim Fahren ist notwendig. Wahrscheinlich hätte ich den Tag so an der Grenze beendet, wenn nicht der zwei Mal pro Woche verkehrende Minibus vorbeigekommen wäre und anbot, mich mitzunehmen. Mit mir als einzigem Fahrgast geht es nun für drei Euro binnen einer Stunde (statt 5-6) zur chilenischen Grenze. Wunderbar. Von hier aus sind es noch 11 km bis zum argentinischen Grenzposten San Sebastian und ab dort nochmal gut 80 asphaltierte Kilometer bis Rio Grande. Mittag an der Grenze und los geht’s – heute wieder mit astreinem Rückenwind (zumindest meistens) auf der frisch asphaltierten Ruta 3. Gegen 15.30 Uhr erreiche ich die Industriestadt Rio Grande – mit zunehmendem Feierabendverkehr , Knast und jeder Menge militärischer Devotionalien inkl. Pappkameraden und Wandmalereien am Straßenrand, die an den Falklandkrieg erinnern. Am Abend beziehe ich die gemütliche Couch in Giselas zweiter Wohnung, stocke Vorräte auf, koche, schlafe. Morgen wird Wäsche gewaschen, das viel gerühmte patagonische Eis gegessen und weitere Gastgeber entlang der Route angeschrieben. Rund 250 km bis Feuerland, 110 km bis zur tollen Bäckerei mit Casa Ciclista in Tolhuin – das Ende der Welt rückt in greifbare Nähe. Weiter soll´s am 13. Dezember gehen. Ushuaia wird also noch vor Weihnachten erreicht (und wahrscheinlich auch schon wieder verlassen).