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24.02. – 11.03.2018 von Bariloche nach Santiago de Chile

Nach dem Abschied von Janine und wenigen Tagen zum Sortieren geht’s weiter – zurück auf die Piste, um den See herum nach Villa La Angostura.Im Urlaubsort der scheinbar besser betuchten Gäste, die die Natur am liebsten durch das Fenster ihres Spa-Hotels sehen übernachte ich bei Vinz und seinen drei Mitbewohnerinnen – allesamt deutsche Freiwillgendienstleistende (weltwärts), die nach dem Abi hierher kamen um im Ort ein Laienorchester zu betreuen und Musikunterricht zu geben. Klingt nach einem spannenden Projekt. Nach Abendessen und Spaziergang zum See teile ich mir das Wohnzimmer mit einem weiteren Couchsurfer. Zum Frühstück speisen wir Müsli und Pan Aleman bevor ich mich zur Sieben-Seen-Tour (Siete Lagos) nach Norden aufmache. An die Seen kommt man leider an wenigen Stellen ran, um so schöner ist der offizielle Wildcampplatz am Flußufer – Trinkwasser gibt’s auch, beim nahegelegenen Bezahlcampingplatz. Unterwegs treffe ich einige leichtbeladene Bikepacker und Mountainbiker, die aber trotzdem nicht rascher über die Berge kommen (solche Lappen ;)). Besonders beeindruckend ist jedoch die tiefgebräunte Soloradlerin, die mit 67 Jahren unterwegs nach Süden ist und tagsüber nur gesüßten Tee zu sich nimmt – wäre ernährungstechnisch ja nicht so meins. Neben mir zeltet ein japanischer Feuerwehrmann, seit 3 Jahren unterwegs inklusive Kühlbox auf dem Gepäckträger– der bräuchte mal wieder ´nen Reifenwechsel: Normalerweise sollte man spätestens tauschen, wenn die blaue Schicht des Pneus zu Tage tritt. Bei ihm dachte ich jedoch erst an ein Sondermodell: die gesamte Lauffläche beider Reifen war bereits blau (letzte Wechsel in Kalifornien bzw. Panama). Vor der Carretera Austral mit ihrem Schotter sollte er also doch mal wieder über neue Schlappen nachdenken.

Weiter geht’s nach San Martin de los Andes – über eine kräftige Steigung und lange bergab am See entlang. Da ich bereits Mittags dort ankomme und der Wind günstig steht, geht’s noch 45 km weiter nach San Junin de los Andes mit dem Vulkan Lanin im Blick.

Nach wie vor ist es sommerlich – kein Tag unter 20 Grad, der Wind kommt jedoch nicht immer aus der „richtigen“ Richtung. An diesem 1. März gibt es Gegenwind und von 800 m ü NN geht es über den 1200 m hohen Pass – zum Großteil auf Asphalt, lediglich 10 km im Nationalpark sind Schotter der schlechteren Sorte. Zum Mittag erreiche ich nach 70 km die Passhöhe und mache Mittag am Fuße des Vulkans. Sonderlich gemütlich ist es hier nicht – trotz Sonne, WIFI der Nationalparkverwaltung und einem einfachen Campingplatz. Außerdem habe ich in Pucon noch eine Couch für diese und die nächste Nacht in Aussicht. Also geht’s nach ausgiebigem Mittag weiter – nochmal 75 km, ein gutes Stück bergab vorbei an Araukanien, See, Felsformationen, einem wunderbaren Fluß, dessen Anrainer gern darin baden und Baumhäuser bauten – überhaupt ist fast alles aus Holz gebaut, auch die Tankstelle. Reife Brombeeren am Straßenrand und ein Kiosk mit Zitronenkuchen sowie „Mote con Huesillos“ (Getreide in süßem, kaltem Tee mit eingelegtem Pfirsich) versüßen die weiteren kurzen Stops. Dabei ist es so warm, dass ich doch gern an einer der Auen gecampt und gebadet hätte. Nach dem bisher längsten Tag mit 145 km erreiche ich Pucon auf 200 m ü NN – eine trubelige, touristische Stadt. Aber zum Glück ist Saisonende. Bei Maria beziehe ich meine „Couch“ – ein eigenes Zimmer mit Bad und revanchiere mich mit vernünftigem Salat, der anders als der landestypische nicht nur aus Zwiebeln und Tomate und mit Glück ein bisschen Grün besteht. Meine Gastgeberin verkauft Erlebnistouren in einer Agentur, die Besteigung des Vulkans Villarica buche ich dennoch bei der sehr guten Konkurrenz und ziehe nach zwei Nächten wie vorgesehen in ein wunderbares Hostel mit Enten, Hund, Slackline, Hängematten, Tischtennistisch und mehr.

Die Tour auf den Villarica beginnt noch vor Sonnenaufgang – 6.30 Uhr ist Treff am Agenturbüro, die am Vortag ausgewählte Ausrüstung wird übergeben bzw. angezogen und lwir werden zum Start des Aufstiegs gefahren. Drei Guides und mit mir sechs Möchtegernalpinisten mit Helm, Steigeisen, Eishacke und Gasmaske steigen in den Kleinbus, der uns zur Talstation des Vulkans bringt. Oben am Gipfel hängen hartnäckige Wolken und wir werden aufgeklärt, dass wir vielleicht nichts sehen werden oder gar abbrechen werden müssen, sollten sich die Bedingungen verschlechtern. Entscheiden Sie jetzt: Umkehren und an einem anderen Tag nochmal probieren oder es wagen – ohne Geld zurück. Nach 15 min steht fest, alle wollen es versuchen. Mit den Worten der Brigade Futur III: Alles wird gut gegangen sein werden. Kurz darauf sitzen wir im etwas in die Jahre gekommenen Sessellift (gut festhalten, kein Sicherungsbügel) – alternativ hätte man auch eine Stunde durch Vulkanasche zum Beginn des eigentlichen Weges hinauf laufen können. Von dort sind es noch gut 900 Höhenmeter hinauf zum Krater – ab 9 Uhr laufen wir immer hinter einem der Guides entlang, beständig in recht langsamen, aber angenehmen Tempo und regelmäßiger Pause. Die beiden anderen gehen weiter vor oder helfen bei Bedarf den Gebrechlichen. Später werden die Steigeisen angelegt, um über die Eisfelder am Hang gehen zu können, die Eisaxt ist nützlich als Wanderhilfe. Ein englisches Pärchen ist scheinbar keine Höhen über 150 m gewohnt, beißt sich aber tapfer durch. Es geht vorbei an der Ruine eines alten Lifts, der bei einem früheren Ausbruch (in den 1970ern?) zerstört wurde. Der Villarica zählt zu den aktivsten Vulkanen des Kontinents, der letzte Ausbruch vor einigen Jahren hatte jedoch keine Folgen für die Menschen im Tal. Im Winter werden die Hänge zum Skigebiet. Unterwegs sieht man leider nichts vom Tal, den umliegenden Seen und Vulkanen – die Wolkendecke ist zu dicht und wir mittendrin. Zum Mittag gelangen wir zum Krater (2840 m) und stehen wörtlich über den Wolken. Aus diesen ragen der Vulkan Lanin und andere Gipfel heraus – ein fabelhafter Anblick. Im Krater ist, wie uns erklärt wird, zu viel Feuchtigkeit und damit Dampf, sodass man leider nicht sonderlich tief sehen kann. Die aufsteigenden Schwefeldämpfe reizen dafür umso mehr die Atemwege und Augen – trotz Gasmaske wird kräftig gehustet. Der größte Spaß folgt aber erst noch: Der Abstieg erfolgt nicht immer auf den Beinen. Gut ein Drittel der Strecke rutschen wir in Rinnen über verschiedene Eisfelder hinab: Mal auf dem blanken Hosenboden (der gestellten Überhosen), mal auf einem Arschleder aus Kunststoff – die Eisaxt immer nah an der Hüfte als Bremse. Gelingt es nicht, das Tempo damit ausreichend zu regulieren, fliegt man auch mal aus der Rinne, dreht sich und rutscht den Hang rückwärts hinab. Die Guides sehen das nicht so gern, aber dieser kleine kurzfristige Kontrollverlust fetzt! Die Engländer landen allerdings deutlich weiter neben der Spur und versuchen dann wieder heraufzukraxeln – ohne Schadenfreude witzig anzusehen. Die letzten Meter geht es mit Schnee in der Hose über Vulkanasche hinunter zum wartenden Kleinbus. Nun sieht man auch das Tal endlich wieder. Nach etwas Obst und Zielbier in der Agentur bleibt noch ein ganzer halber Tag.

Diese Tour könnte (!) man übrigens auch allein, also ohne Agentur, machen – verlaufen würde man sich auf Grund der vielen geführten Gruppen wohl kaum. Aber so müsste man den Transport zur Talstation und auch zurück organisieren (je 1 Autostunde), die Genehmigung der Parkverwaltung einholen und sämtliche Ausrüstung mieten (Eishacke, Steigeisen, Helm etc werden von der Parkverwaltung verlangt und überprüft, Gasmaske empfohlen; das Arschleder, Stiefel und die gestellte Oberbekleidung erwiesen sich als sehr gut und schonten die eigenen Klamotten). Nicht zuletzt war die Einweisung, wie und wo man richtig/sicher herunterrutscht nicht ganz unnütz. Zwei Typen sahen wir beim Aufstieg, die nach den Rinnen hinunter fragten und diese dann mit Mülltüte unterm Popo herunterrutschen wollten. Vielleicht war dies nicht des cleverste Idee. Ich bereue jedenfalls nicht, die etwas weniger abenteuerliche Variante gewählt zu haben.

Also, was tun mit dem nun sonnigen Nachmittag? Seit Villa la Angostura habe ich den Salto del Claro im Kopf – mein Host Vinz zeigte mir ein Video seines Besuchs und schwärmte davon. In Laura, die mit auf der Vulkantour war und eigentlich gerade auf Dienstreise für die bayerische Umwelthilfe in der Region ist, aber heute frei hat, finde ich eine begeisterte Mitstreiterin. Nach dem Mittag geht’s per Rad der wagen Wegbeschreibung nach zum „versteckten“ Wasserfall im Wald. Viele bekommen den Hinweis zum Besuch dieses schönen Ortes als Gast des ChiliKiwi-Hostels im Ort – betrieben von einem Neuseeländer, der eine handgezeichnete Karte mit dem Weg bereit hält. Mittlerweile findet man die Wegbeschreibungen aber auch online. Nach ein bisschen Suchen, steilen Sträßchen und Brombeeren am Wegesrand (wiederhole ich mich?) sowie einer falschen Abbiegung (den verblassten Pfeil am Baum inmitten des Waldes konnte man wirklich kaum sehen) gelangen wir zum wunderbaren Wasserfall – ohne Frage, da muss man baden, auch wenn die Sonne nicht mehr so kräftig scheint. Der Druck des fallenden Wassers ist immens, auch hinter die Kaskade gelangt man. Zwei Jungs klettern noch ein bisschen mehr rum und kommen so in die kleine Höhle neben dem Fall. Der Kessel rundherum ist wahnsinnig grün, die Vegetation durch den Wasserdampf eine ganz andere als im Wald rundherum. Zwar ist das Wasser auch hier sehr frisch, aber wunderbar! Was für ein Tag: Hinauf zum Vulkankrater, hinunter gerutscht auf Schnee und zum Schluss noch im subtropisch anmutenden Wasserfall gebadet. Gefällt mir richtig gut!

Nach insgesamt drei wunderbaren Pausentagen (inkl. Vulkanbesteigung) in Pucon mit dem vorerst letzten leichten Regen am Tage (bis zum 1. April 2018) für die nächsten Wochen ging es am 5. März weiter – mit viel Sonne und deutlich über 25 Grad auf der teils stärker befahrenen Landstraße vorbei an Brombeeren, Ausblicken auf den Vulkan Villarica und reifen Brombeeren, die gepflückt werden wollten, durch den Ort Villarica mit nochmaligem Blick auf den gleichnamigen Vulkan und schwarzem (künstlich geschaffenen) Strand … und noch mehr Brombeersträuchen zur Ruta 5, DER Autobahn, die ich teils schon rund um Chiloe fuhr und auf der ein größerer Abschnitt der Panamerikana verläuft. Von hier bis Santiago gab es schöne Tankstellen zum Rasten und Campen, einen meist guten Seitenstreifen, viel Wald und Verkaufsstände am Straßenrand, zwei Fahrspuren je Richtung, mäßigen Verkehr, leider auch sich lange in den Tälern haltenden Rauch aus den Wäldern oder von angrenzenden Grundstücken (was auch immer da verbrannt wurde), vor Santiago dann mehr Wein und die (intakte) Eisenbahnlinie mit netten Brücken. Am Horizont tauchten manchmal die Voranden auf, das war´s dann aber auch schon mit Highlights. Knapp 700 km von Freire nach Santiago waren nach knapp 6 Tagen abgehakt. Unterwegs stoppte ich zum Campen an den COPEC-Tankstellen, die auch Duschen zur Verfügung stellten (manchmal gar eine Truckerlounge mit TV, WIFI und einmal auch einen Waschsalon), in mehr oder minder austauschbaren Städten (Los Angeles, Chillan, Victoria, Linares, San Fernando) und zu Beginn der Etappe auf einer Weide neben dem Truckstopp, 50 m von der Autobahn entfernt, wo mich der deutschstämmige Besitzer nach Einbruch der Dunkelheit mit seinem Jeep anstrahlte, mir nach kurzem Interview aber die Übernachtung gewährte – da ich Deutscher sei, sei das ohnehin kein Problem. Merkwürdiges Konzept, das Bleiberecht eines verzottelten Burschen an dessen Pass festzumachen. Apropos „deutsch“ – die ehemalige „Colonia Dignidad“ liegt knapp 50 km von der Ruta 5 entfernt, nennt sich jetzt „Villa Bavaria“ und wirbt mit vermeintlich deutscher Folklore auf Großplakaten um Gäste, die dort Speisen und Übernachten. Ein Besuch bei dem Verein spare ich mir jedoch und träume vom nächsten selbst gebackenen Brot – nur der Ofen fehlt, wobei irgendwann auch die Campingkocherversion ausprobiert wird.

In den Städten fand ich zumeist Unterkunft bei Couchsurfern, wurde am 8. März in Chillan gleich zum Frauentagsmarsch inklusive wiederholter Kreuzungsblockade eingeladen sowie von Vätern und Müttern der Couchsurfer mit Extraportionen zum Abend und Morgen versorgt. In Victoria schlief ich beim Haus-/Kultur- und Recyclingprojekt Oveja Verde – dem grünen Schaf (da eine NGO, ausnahmsweise mit Link) und „erarbeitete“ mir den Schlafplatz, in dem ich ein paar aus Bierflaschen gefertigte Gläser schliff. Neben Bierflaschen werden auch PET-Flaschen gesammelt, teils gebündelt als Wertstoff weiterverkauft oder aber einen neuen Nutzung zugeführt: Glasflaschen werden zu Gläsern, Lampenschirmen und anderem, wobei der Flaschenhals erst geritzt und dann mit heißem Draht sauber abgetrennt wird, Plastikflaschen zu Kunst und nützlichen Gegenständen. Mit den Verkaufserlösen wird das offene Haus mit Saal für Kultur und Workshops unterhalten, keiner verdient, jede/r hilft in der Freizeit, soviel er/sie möchte. Ein schöner Anblick in einem Land, in dem es nur wenige Pfandflaschen gibt, Müll verbrannt oder verklappt wird und, abgesehen von den tausenden Plastikflaschen an Schreinen für die Diffunta Correa, kein Kunststoff vom Restmüll getrennt wird.

Einer der schönsten Campingplätze dieses Abschnitts lag an einer Obstplantage, mit Pool und großer Küche. Als einziger Bewohner der Anlage ließ es sich dort wunderbar aushalten. Zwei mal wurden mir Mitfahrgelegenheiten quasi aufgedrängt – von einem älteren Herren um die 80 mit Zwiebeln und Knoblauch auf der Ladefläche des Pickups, der mich an einer Tanke ansprach für knapp 70 km und von einem Geschäftsmann, der mich an einem sehr heißen Tag freundlicherweise die letzten 40 km mit nach Chillan nahm. Manchmal ist es schön in Ländern unterwegs zu sein, deren Einwohner gern Wägen mit Ladefläche fahren. Zu sehen gab es abseits der Ruta 5 wenig – von den zu diesem Zeitpunkt eher trockenen Wasserfällen Saltos del Laja mal abgesehen. Die Autobahn ist auch für Radfahrer das, was sie nun mal ist: Eine Schnellstraße, nach Norden zu dieser Zeit auch oft mit etwas Rückenwind und nicht zu vielen Steigungen.

Mit ein wenig mehr Verkehr ging es schließlich nach Santiago hinein – da gerade Sonntag war, hätte ich es aber sicher schlechter erwischen können, was die Verkehrslage anging. Zu Santiago de Chile, Valparaiso sowie dem bisher höchsten Pass nach Chile (3824 m ü NN), Mendoza und mehr dann in den nächsten Beiträgen.

17.01. – 03.02.2018 Chiloe, Vulkane und Seen

Mit einem Steaksandwich zum Frühstück geht es gegen 6 Uhr auf die Fähre. Um 7 Uhr laufen wir im Morgengrauen aus und lassen Puerto Cisnes hinter uns. Nebel und Wolken lassen die Fjordlandschaft nur erahnen, einige Muschel- und Fischfarmen ziehen an der Fähre vorbei. Während der 12-stündigen Fahrt gibt es lediglich einen kurzen Stopp an einer Insel, bevor die Menschen in Quellon an Land strömen. Quellon – südlichste Stadt der Insel ist reizarm. Irgendwo soll ein „Ende der Panamericana“-Schild stehen, es gibt einige Supermärkte, das übliche „Kunsthandwerk“, einfachste und dennoch nicht so günstige Unterkünfte und das Gefühl, dass die Stadt schon deutlich bessere Zeiten sah. Bemerkenswert ist die Duschkonstruktion meiner Hospedaje: Scheinbar wird das Wasser direkt im Duschkopf, der an einen Fön erinnert, elektrisch erhitzt. Zumindest deuten die Kabel daraufhin. Ich wähle dann doch lieber die andere Dusche, deren Installation etwas sicherer scheint.

Zum Mittag ein Highlight der Inseltage: Curanto – Muscheln, Fisch, Schwein, Rind, Gemüse, Kartoffeln und Brühe in einem Gericht. Sehr reichhaltig und genug Eiweiß für die nächsten Tage. Traditionell wird diese Art Eintopf im Erdloch zubereitet. Ich bekam offensichtlich die moderne Küchenvariante und nahm an, die Muscheln kommen direkt von der schwimmenden Muschelfarm, die man vom Restaurant aus sehen konnte.

Am nächsten Morgen geht es direkt weiter auf der Ruta 5 – der Autobahn die am Festland auch nach Santiago de Chile führt. Nach 100 km erreiche ich Cucao – circa 20 km von der Ruta 5 entfernt. Wind und fiese, riesige, orangene, hungrige Pferdebremsen mindern den Fahrtgenuss auf den letzten Kilometern – Wildzelten an einem der Seen ist so jedenfalls nicht möglich. Cucao rühmt sich seines kilometerlangen Pazifikstrandes – kiesig, wildromantisch und kalt. Am Horizont ahnt man die „12 Apostel Chiles“ – ähnlich denen in Australien ragen Felsen aus der Brandung. Der Weg dorthin ist jedoch nochmal 15 km weit und verläuft über fieses Waschbrett. Nach dem kurzen Strandbesuch verbringe ich den Abend lieber am Zelt mit Blick auf den See. Der nahe Nationalpark bietet keine andere Landschaft als das Umland, wird also nicht besucht.

Zurück zur Ruta 5, solange es nieselt auch ohne lästige Beißinsekten. Nach dem Kaffee- und Kuchenstop wecken die ersten Sonnenstrahlen aber auch diese Biester auf. Castro, 60 km weiter, bietet ein paar Pfahlhäuser, mehrere der für Chiloe typischen hölzernen Kirchen, frisches Obst und eine sehr nette Herberge mit entspannten Menschen. Zudem ist Castro Ausgangspunkt für Ausflüge zu den vorgelagerten Inselchen. Nächster Stop nach weiteren 100 km ist Ancud – ein für die Region typisches Folklore- und überwiegend Fressfest ließ ich aus, fuhr aber ein bisschen durch das Hinterland und wieder auf der 5 weiter nach Norden.

Ancud, bereits im Norden der Insel rühmt sich seiner spanischen Festung, oder dem, was davon übrig blieb – ein paar alte Kanonen und geschliffene Mauern – sehr übersichtlich. Dennoch macht das Städtchen einen netten Eindruck – beim Gemüsehändler beginnt mit dem Namen „Arturo Vidal“ mal wieder eine nette Unterhaltung, die in geschenktem Obst mündet. Mit einem Pausentag (inklusive Ananas mit Minzzucker, selbstgebackenem Brot und Sonnenbad auf der Veranda) auf der angeblich so regenreichen Insel stimme ich mich auf das Festland ein und verlasse nach knapp 5 Tagen die Insel in Richtung Puerto Montt / Puerto Varas. In der Nähe steigt Rauch auf und ein Löschhubschrauber pendelt über Stunden zwischen der nahen Bucht und dem Feuer, offensichtlich innerhalb der Stadtgrenze – bei all den Holzbauten entlang der Straßen ein Anblick mit fragwürdigem Bauchgefühl.

Frisch geht´s vom nächsten Hafen aus auf der Autofähre ans Festland. Nach 20 Minuten Überfahrt wird auch der letzte Rest der nächsten 100er Etappe auf dem Seitenstreifen der mehrspurigen Autobahn gefahren. Vermutlich auf Grund der Mautgebühren ist der Verkehr bis wenige Kilometer vor Puerto Montt jedoch kaum existent. Auf Flüsterasphalt geht es an Fahrradverbotsschildern und Mautstationen vorbei – die einzige Polizeistreife die ich heute sehe, besteht darauf, mir an der Autobahnauffahrt die Vorfahrt zu überlassen. Ich schließe daraus die wohlwollende Duldung unmotorisierter Zweiräder auf der Schnellstraße. In Puerto Montt wird direkt am Knast Kunsthandwerk (der Insassen?) verkauft, ein Blick hinunter in den Talkessel mit Kreuzfahrtdampfer genügt jedoch, um Puerto Varas – kaum 20 km weiter – den Vorzug für´s Nachtquartier zu geben: Eine goldrichtige Entscheidung: Der Ort ist sonnig, liegt am See und das wichtigste: Beim Campen im Hostelgarten treffe ich Liam und Jake – meine beiden ebenso bärtigen wie auch sympathischen Reisekameraden aus England. Spontan bleiben wir eine Nacht länger, backen gemeinsam vegetarische Pizza, gefolgt von Apfelkuchen und Pan Aleman. Nach kleinen Kostproben möchte die Hostelbetreiberin uns adoptieren, aber wir wollen wieder auf´s Rad. Jake und Liam hatten gerade einen Monat Radpause – um auf Kuba Familie und Freundin zu treffen (Liam) bzw. zur versuchten Besteigung des 6.900 m hohen Aconcaqua bei Mendoza und um in Santiago zu arbeiten (Jake als Stage-Rigger einer größeren Show). Und auch die beiden erhielten in O´Higgins am Grenzposten keine Touristenkarte (mit Hinweis des Grenzers,der Stempel würde doch reichen), geben mir aber den heißen Tipp, diese in Puerto Varas beim örtlichen Polizeiposten nachträglich ausstellen zu lassen. Das klappt ohne Probleme und ist wohl eine gute Entscheidung, sonst hätte ich von der Grenze wohl nochmal zurückfahren können, um die Karte irgendwoher zu bekommen.

Die kommende Woche fahren wir gemeinsam entlang der Seen (südlich des Llanquihue sogar auf Radwegen) und Vulkane (Osorno u.a.), campen teils wild, queren Flüße mit allen Rädern auf winzigen Booten, baden in Seen, Flüßen und (kleinen) Wasserfällen, haben wunderbare Mittagspausen und Unterhaltungen. Das Wetter ist weiterhin überwiegend sommerlich, oft über 20 Grad warm und trocken. Zusammen bilden wir das 3B-Team – Boys with blue Jackets and Beards. Mit 70-80 km per Tag geht es Richtung Argentinien und über den Pass im Park Puyehue schließlich ins Nachbarland. Von 300 m geht es binnen 25 km hoch auf 1300 km und auf der anderen Seite auf der Kilometerlangen Abfahrt wieder hinunter auf 800 Meter. Die Staatsgrenze lässt sich auch am unterschiedlichen Straßenbelag erkennen. Beeindruckend sind nicht nur die nahen Vulkane, auch die in Bränden zerstörten Wälder mit den ausgeblichenen hölzernen Überbleibseln haben ihren ganz eigenen Reiz. In Villa Angostura „schlafen“ wir auf dem bisher staubigsten Campingplatz – der ist eigentlich ganz schön angelegt, wenn auch vernachlässigt. Tagsüber sind die musizierenden Hippies hier ja noch ganz witzig. Aber als dann ab 23 Uhr Lagerfeuer und Musik direkt neben unseren Zelten starten, bei weitem nicht jeder Ton getroffen wird und das Gelage bis weit in den Morgen fortgesetzt wird, bereuen wir unsere Schlafplatzwahl. Müde gehen wir am nächsten Tag die letzte Etappe nach Bariloche an – nochmal rund 90 km durch Pampa, Sonne und ein bisschen Windschattenfahren. Während die Jungs campen, nutze ich mal wieder eine Hostelküche zum Backen, kuriere eine kleine Erkältung aus und fahre den Circuito Chico – eine 20 km lange Rundtour außerhalb Bariloches (insgesamt dann doch immerhin 54 km) vorbei an Stränden, Aussichtspunkten, Minibrauereien und Wäldern.

Die Stadt selbst ist sehr touristisch und vor allem die außerhalb liegenden Siedlungen überzeugen mit alpenländlicher Architektur, Wanderwegen und Stränden am kalten See. Nach zwei Tagen treffen wir drei Bärtigen uns wieder auf dem Campingplatz „Selva Negra“ und besteigen den Cerro Bella Vista – 2 h geht es steile 1000 Höhenmeter bergauf (auf 1700 Meter). Der Lohn ist ein umwerfender 360° Blick auf umliegende Berge, die Stadt, den See. Wunderbar! Am 3.2. nehme ich schließlich Abschied von den liebgewonnenen Engländern. Die Jungs fahren weiter nach Norden zur 7-Seen-Route (die ich erst Ende Februar fahre) und ich nehme am nächsten Morgen das Flugzeug nach El Calafate. Zuvor gab es noch ein Wiedersehen mit Andreas  – wie verabredet am 2.Februar um 19 Uhr an der Touristinfo. Ihm erging es wohl gut. Nach ein paar Getränken und leckerem Burger verabschieden wir uns endgültig. Fritz wartet derweil in einem Hostel auf Ersatzteile – nach 3100 km wollen Kette, die Kassette und das zweite Kettenblatt ausgetauscht werden – zuletzt rutschte die Kette auf Grund der verschlissenen Teile erheblich und es blieben „nur“ die Gänge auf dem ersten und dritten Blatt – genug um nach Bariloche zu kommen, auf Dauer aber kein Zustand. Ende Februar werden die sehnlichst erwarteten Ersatzteile dann endlich montiert.

13. – 20.12.2017 Zum Ende der Welt und zurück

Von Rio Grande geht es die gut 110 km nach Tolhuin – günstiger Wind auf den meisten Streckenabschnitten, etwas Küste, etwas mehr Hügel und nach 50 Tageskilometern endlich wieder ein Baum – anfangs nur Totholz, dann Wald – die Pampa ist vorbei, welch Wohltag für´s Auge. Unterwegs treffe ich auch endlich wieder Toureros – ein kanadisches Pärchen auf dem Weg nach Norden (ihr Tag 3 auf der Panamericana) und im famosen Casa de Ciclista an der Bäckerei „La Union“ in Tolhuin zwei Tschechen (Ü65), ebenfalls auf dem Weg Richtung Norden. Das Feriendorf Tolhuin bietet Supermarkt, Aussteigerhütten, sehr viele, charmante Cabanas und einen alternativen Campingplatz errichtet aus recycelten Bohlen sowie Paletten direkt am See Lago Fagnano. Zuvorderst aber eben „La Union“ – hunderte, tausende Radler (und Wanderer / Tramper) nächtigten hier bereits im Raum neben dem Mehllager – oder in einem zusätzlichen Raum im Untergeschoss – und genossen die Gastfreundschaft der Bäckerei, Gebäck, Brot, Schokolade. Das für die Unterkunft gesparte Geld wird sehr sehr gern an der Theke für Backwerk und Nascherei ausgegeben. Am improvisierten Abendbrottisch mit fauchenden Gaskochern treffen sich am zweiten Abend des Hanuka-Festes so zwei Physiotherapeutinnen aus den Golanhöhen, ein Schweizer (der Ushuaia schnell wieder verließ, weil´s da nur aussieht wie daheim), zwei witzige Tschechen (die Englisch mit einem Witzebuch – Tschechisch-Englisch lernen)  und ein zotteliger Deutscher, allesamt selig, eine Dusche und ein Dach über dem Kopf zu haben.

Die letzten 100 km nach Ushuaia beginne ich entlang des Sees, über den mir Wellen entgegen schlagen – heute also schön gegen den Wind. Die Ruta 3 kurvt entlang des Seeufers, mit kurzen Abstechern nach Osten, um dann in Gegenwindrichtung und wellig zurückzukommen. Nach nicht ganz der Hälfte der Tagesetappe beginnt der ca. 5 km lange Aufstieg zum Passo Garibaldi – 420 Meter über Null. Die Aussichten ins Tal belohnen die Mühe, kurze Schauer mit Graupel, Regen und Hagel wechseln sich mit Sonne und Nebel bei 5-10 Grad Lufttemperatur ab. Nach einer halben Stunde ist dann auch dieser erste echte „Berg“ kurbelnd bezwungen und es geht bergab – mit sagenhaften 14 km/h mit Treten und Gegenwind. Viel Bremsen muss ich also nicht. Im anderen Tal gibt es immer schönere Aussichten auf die umliegenden, schneebedeckten Berge, erste Wintersportresorts mit Skiliften, Snowmobilen, Huskies säumen den Straßenrand, wenn nicht gerade ein verwunschener Wald bis an den Asphalt heranreicht bis sich das Auenland öffnet. Just bei Kilometer 1.000 auf dem Tacho ergibt sich die Gelegenheit für einen wärmenden Kaffee im Wintersportparadies. Die letzten 20 km geht es dann vollends gegen den Wind – wie, als wenn mir die Ankunft am „Ende der Welt“ nicht vergönnt wird. Mit 10 km/h geht es voran, auch die abschüssige Straße sorgt nicht für wesentliche Beschleunigung bis schließlich das Eingangsportal der Stadt in Sicht kommt. Durch den Containerhafen und über manch steile Hangstraße geht es noch gut 8 Kilometer ans andere Ende der Stadt zum Hostel. Das Bett, die Wärme und der freundliche Empfang sind eine wahre Wohltat.

Ein paar Tage verbringe ich am „Tor zur Antarktis“ – nach einem kurzen Abstecher zum Nationalparkeingang treffe ich in der Stadt Andreas – der fuhr die knallharte Ruta 40 von Bariloche in knapp 3 Wochen bis hierunter – 140er Tagesschnitt durch die Pampa, respekt! Gemeinsam suchen wir nach Optionen wieder nach Norden zu gelangen – via Fähre für 125 US$ nach Puerto Williams (die noch südlichere chilenische Stadt am anderen Ufer des Beagle Kanals) und per Autofähre für weiterer 180 US$ nach Punta Arenas, per günstigeren Bus 10 h ebenso dahin oder 5 Tage gegen den Wind auf bereits bekannten Pisten und zwei Rädern zurück zum Festland. Die sicher schöne Fähre fährt erst am 23.12. wieder und ob sie fährt, erfährt man erst einen Tag zuvor. Auf eine Routendopplung haben wir beide wenig Lust und Bus Sur kann uns dieses Mal die Radmitnahme garantieren – ohne Kartonpflicht – und entsprechende Plätze reservieren. Am 19.12. geht´s also weiter. Der Versuchung, zum Schnäppchenpreis in die Antarktis zu fahren, widerstehen wir gerade so. Ab 6.500 US$ hätten wir uns für 9 Tage an Bord eines „Expeditionsschiffes“ (eher ein mittelgroßer Kreuzfahrer) begeben können. Oder für nur 12.000 auf die längere Tour über drei Wochen. Manch anderer lässt sich verlocken und bucht spontan im Reisebüro. Das Reisebudget für ein halbes (bzw. ganzes) Jahr – wooooosh, schon ist es von der Kreditkarte runter. Dann fahren wir doch lieber für knapp 50 EUR nach Punta Arenas und später deutlich länger deutlich weiter durch die Länder des Kontinents.

Bis dahin verbringen wir einen Ruhetag mit Café, Souveniershops, dem Museum zum Ende der Welt, der Suche nach geeigneten Packplanen für die Räder (schließlich im Abfall gefunden) und einem Kameraladen in der Stadt. Sonntag bringt uns die Paludine mit Motor und Segelkraft sowie nur 6 weiteren Passagieren und zwei Crewmitgliedern auf den Beagle-Kanal – Albatrosse, verschiedene Kormorane, Magellanpinguine, ein Königspinguin, Robben besuchen wir. Dabei fährt das Boot bis auf wenige Meter an die jeweiligen Inseln heran – ohne die Tierchen zu stören. Zudem gibt es tolle Sicht auf beide Ufer des Beagle-Kanals, Inseln, Kreuzfahrer. Nach 4 Stunden auf dem Wasser, heißer Schokolade und Keksen geht es per Shuttle zurück in den Ort. Am letzten Tag vor der Abfahrt geht es die obligatorischen 20 km zum Ende der Ruta 3 – letztlich ein unspektakulärer Parkplatz im Nationalpark, aber weiter südlich geht es auf Straßen nicht auf argentinischem Staatsgebiet. Der Tag ist sonnig, mit 8 Grad fast schon warm und noch im Nationalpark erklimmen wir den Cerro Guanako – auf 900 Höhenmeter geht es hinauf – binnen 4 km vom Seelevel durch Wald, sumpfige Wiesen, kleine Schneefelder und den steinigen Weg zum Grat hinauf. Die angegebenen 4 Stunden je Richtung wurden von der Nationalparkverwaltung wohl sehr vorsichtig geschätzt. Oder wir sind einfach dolle Hirsche: Nach 2,5 h sind wir oben. Der Abstieg nimmt genauso lange in Anspruch, aber zuvor wird das Rundumpanorama genossen – auf die Stadt, die Seen, die Berge, den Beagle-Kanal. Leichten (starken) Muskelkater verspüre ich noch in Punta Arenas. Die Weiterfahrt von dort verzögert sich wegen starken Regens und Wind mit bis zu 50 km/h aus der Gegenrichtung. Punta Arenas ist jedoch niedlich anzuschauen – endlich eine Stadt, die den Namen verdient. Unser Zimmer liegt über einem Tangoclub mit Livemusik, man findet alle Geschäfte im Ort, imponierende Gebäude aus der Kolonialzeit, Apfelstrudel mit Sahne und heiße Schokolade. Zudem auch Museen, Nachbauten alter Schiffe und einen wohl hübschen Friedhof – all dies sparen wir uns aber und ruhen uns aus. Am 21.12. fahren wir weiter nach Norden. Weihnachten sollten wir am Torres del Paine Nationalpark bzw. Puerto Natales sein (250 km) – ggfs. im Zelt. Die kommenden Tage erwartet uns also Wind aus der Hauptrichtung – West/Nordwest. Wie oft, schön von vorn. Bis Ende Januar hoffen wir auf der Carretera Austral nach etwa 1.800 km San Carlos Bariloche zu erreichen, von dort geht Andreas´ Flieger in die Heimat.

08. – 12.12.2017 Wind, Wellen, Weideland

8.12. – 12.12. Rio Gallegos – Cerro Sombrero – Rio Grande (Bilder folgen bei Gelegenheit)

Aus der Abfahrt am 7. Dezember wurde nichts – nach Frühstück und Tee kam ich mit Tempo 8 – 10 km/h genau 5 km weit – bis an die Grenze des Industriegebiets am Ende der Stadt, bevor es mich förmlich vom Rad blies. Starker Seitenwind machte ein (sicheres) Fahren unmöglich, noch dazu sollte sich die Route später genau in den Wind (weiter nach Westen) drehen, dazu Schauer – keine Chance 120 KM bis zur Fähre zu gelangen. Trampen funktioniert heute auch nicht, ohne Windschutz zu warten ist zudem extrem unangenehm – im Wind reißt bzw. bricht der Ständer von Fritz – Gewicht, Wind und Alter (seit Neuseeland im Einsatz) machen auch dem stärksten Ständer den Gar aus. Wenn´s so bleibt, muss Ushuaia von der Zielliste genommen werden. Gegen Mittag bin ich zurück in der Innenstadt, wärme mich in einer Tankstelle auf und suche ein Hotel, um am nächsten Morgen wirklich um 8 Uhr auf´s Rad steigen zu können. Die freundliche Einladung eines jungen Motorradfahrers bei ihm unterzukommen schlage ich dankend aus, brauche heute mal Ruhe. Fritz übernachtet sicher in der Waschküche des Hotels. Schade: Die Dusche gibt nur kaltes Wasser ab.

Am nächsten Tag geht’s nach kleinem Frühstück im Hotel wieder auf´s Rad. Punkt 8 geht’s los mit Umweg über einen Bäcker – Sandwiches, Pan Dulce als kleines Mitbringsel für die nächsten Gastgeber (leider schon recht trocken, wie sich später herausstellt, aber schön anzusehen). Ein alter Hippie freut sich über mein Rad und macht gleich Fotos vom voll beladenen Fritz – vier Radtaschen, der Rucksack mit Zelt, Schlafsack, Isomatte und obendrauf neun Liter Wasser und Limo – sieht man hier vielleicht nicht so oft. Wer sich fragt, wie viel Masse das sein mag: die vier Taschen (Küche & Bad, Werkstatt/Ersatzteile & sonstige Ausrüstung, Klamotten (von kurzer Hose bis zum warmen Handschuh), Büro & Technik sowie Zelt, Wanderschuhe etc) wiegen ungefähr 35-40 Kilogramm, hinzu kommen Wasser (9 Liter) und Verpflegung – circa 3 Kilo, Fritz wiegt um die 18 Kilo. Zusammen mit mir rollen also um die 140 Kilo Systemgewicht über die Pisten. Weniger wäre schön, ist momentan aber kaum umzusetzen.

Die verschobene Abfahrt hat sich gelohnt – mit Wind aus Nordwest geht es gut voran, unterbrochen nur von einer Polizeikontrolle und den notwendigen stündlichen Pausen. Nach 65 Kilometern ist die Grenze nach Chile erreicht – Einwanderungsbehörde, Zoll und Landwirtschaftsbehörde checken die Papiere und auch (recht oberflächlich) das Gepäck. Frischobst, Wurst etc. hatte ich vorher vertilgt, meine Nüsse kann ich zum Glück behalten, die Chiasamen werden auch nicht beanstandet bzw. übersehen. An der Grenze gibt es noch ein schönes Mittag und kurzen Schnack mit chinesischen Motorradfahrern, die gerade ihre Panamericana-Tour beenden. Nach einer Stunde geht’s weiter. Hinter der Grenze Rückenwind, Abfahrten – so kann´s gern weitergehen!

Später ziehen jedoch Wolken auf, der Wind kommt stärker von der Seite und es schauert – die Regengarnitur kommt erstmals zum Einsatz. Über sanfte Hügel und die üblich karge Landschaft geht es bis zum Abzweig des Fähranlegers – wider Erwarten gibt es hier 20 km vor der Fähre doch noch eine kleine Siedlung mit ausgeschriebenem Hotel, welches ich heute aber nicht in Anspruch nehmen muss. Von da an ist es ein Genuss: Reiner Rückenwind, 16 km mit 30 km/h und einigen schönen Abfahrten. Ein VW-Bulli aus Pirna überholt mich – es ist immer wieder witzig, am anderen Ende der Welt europäische Kennzeichen zu sehen.

15.45 Uhr erreiche ich den Fähranleger von Punta Delgada – mit Bistro/Restaurant, Hosteria, kleinem Supermarkt und Klos mit Duschen wunderbar ausgebaut. Nach einem Kaffee mit deutschen Motorradfahrern setze ich über – 20 Minuten über die Magelanstraße, für Fußgänger und Radfahrer kostenfrei.

Die gegenüberliegende Seite(Bahia Azul) ist nicht ganz so gut ausgebaut, aber ich darf vor der Info und der kleinen Polizeistation zelten und den warmen Warteraum mit TV und altem PC bis 21 Uhr nutzen, mich sogar in der Damendusche waschen – die andere ist geschlossen. Auch hier gibt es wieder nur kaltes Wasser, das nach 5 Minuten ganz ausbleibt, aber besser als nichts. Die nette Kollegin der Info gibt mir für den Abend sogar noch den WIFI-Code des Verwaltungsnetzwerks, ein wunderbarer und sicherer Platz zum Campen, vor allem windgeschützt – der Wind frischt auf – 40 km/h laut App, für morgen ist Gleiches vorausgesagt mit Sturmböen bis 85 km/h, kann ja heiter werden!

Am nächsten Morgen (9. Dezember) packe ich früh das Zelt zusammen, frühstücke im Warteraum und starte gegen 9 Uhr – noch vor der ersten Fähre in Richtung Cerro Sombrero – bei KM 53 der Ruta 257 soll die Estancia von Valentina, meiner nächsten Couchsurferin sein – ein vermeintlich kurzer Tag mit 43 km, jedoch auch zunehmendem Seitenwind und Schauern. An den Zäunen entlang der Straße ist fast jeder Kilometer angezeichnet, teils sogar alle hundert Meter. Die verbleibene Distanz hat man also ständig vor Augen. Mittags erreiche ich Kilometer 52, trinke Kaffee im einzigen Restaurant – 5 Kilometer vor dem durch die Gasförderung geprägtem Dorf Cerro Sombrero. Valentina kehrt erst nachmittags zurück, also fahre ich erst mal in den Ort – eine Siedlung aus scheinbar sozialistischer Prägung: Ein Kino (bei nichtmal 5.000 Einwohnern, eine Begegnungsstätte/Club Social, kleiner Markt, ein Flugplatz, Werkstätten, Arbeitersiedlungen, Sportplatz und Gemeinschaftsgarten, Tankstelle, zwei Hosterias, Verwaltung, ein Krankenhaus und die neu erbaute Regionalschule mit Internat – alles im Betonbaustil der siebziger Jahre – am heutigen Samstag sehe ich genau sieben Menschen auf den Straßen. Auch die (heute jedoch geschlossene) Touristinfo mit luxuriösem öffentlichen WC ist brandneu. Im Vorraum dessen kann ich mich aufwärmen und habe sogar WIFI zum Zeitvertreib. Auch heute habe ich Glück: Valentina schreibt mir, sie wäre ohnehin gerade an der Klinik und könnte mich mitnehmen – Fritz kommt also mal wieder auf die Ladefläche eines Pickups und ein Missverständnis klärt sich auf: Die Estancia ist zwar am Kilometer 53, allerdings der geschotterten Ruta 259 (nicht 257) – und damit 60 Kilometer weiter in der Prärie, pardon, Pampa. Welch glückliche Fügung für mich! Die eigentliche Schaffarm ist in der Nähe des Punta Cataluna mit 6000 Schafen. Dort holen wir Umberto, Valentinas Sohn und die Hütehunde ab. Nach einem Braten zum frühen Abend geht’s dann eine weitere Stunde über Schotterstraßen nach Hause – die Distanzen sind hier einfach andere. Am Abend gibt’s dann „richtig“ Essen – Lammbraten ab 23:30 Uhr. Bis 2 Uhr halte ich durch, bevor ich mich auf meine gemütliche Couch am Gaskamin zurückziehe. Der Rest der (erwachsenen) Familie sitzt noch bis 5 bei Mate und „Germania“-Import-Bier aus Österreich in der Küche zusammen. Sonntag ist Ruhetag, Zeit, die Taschen zu sortieren, am Nachmittag geht’s dann nochmal nach Cerro Sombrero: Der Sohn hat heute Geburtstag und im Gemeindezentrum gibt’s einen schönen Kindergeburtstag mit Pinata und jeder Menge Essen. Valentina kocht und bäckt fabelhaft und ich kann jede Menge Energie tanken – nachdem ich die ungefähr 4.000 Kalorien pro (langem) Radtag erwähnte, bekomme ich ständig Essen gereicht. Gefällt mir! Im Tausch gebe ich Lungenkraft für die Geburtstagsluftballons und wir tauschen ein bisschen Musik aus.

Am Morgen herzlicher Abschied von der Estancia, natürlich nicht ohne selbstgebackene Brötchen von Valentina als Proviant. 60 km Schotter bis zur Grenze. Allerdings ist dieser lockerer als gedacht, der Weg kurviger und welliger als vermutet – höchste Konzentration beim Fahren ist notwendig. Wahrscheinlich hätte ich den Tag so an der Grenze beendet, wenn nicht der zwei Mal pro Woche verkehrende Minibus vorbeigekommen wäre und anbot, mich mitzunehmen. Mit mir als einzigem Fahrgast geht es nun für drei Euro binnen einer Stunde (statt 5-6) zur chilenischen Grenze. Wunderbar. Von hier aus sind es noch 11 km bis zum argentinischen Grenzposten San Sebastian und ab dort nochmal gut 80 asphaltierte Kilometer bis Rio Grande. Mittag an der Grenze und los geht’s – heute wieder mit astreinem Rückenwind (zumindest meistens) auf der frisch asphaltierten Ruta 3. Gegen 15.30 Uhr erreiche ich die Industriestadt Rio Grande – mit zunehmendem Feierabendverkehr , Knast und jeder Menge militärischer Devotionalien inkl. Pappkameraden und Wandmalereien am Straßenrand, die an den Falklandkrieg erinnern. Am Abend beziehe ich die gemütliche Couch in Giselas zweiter Wohnung, stocke Vorräte auf, koche, schlafe. Morgen wird Wäsche gewaschen, das viel gerühmte patagonische Eis gegessen und weitere Gastgeber entlang der Route angeschrieben. Rund 250 km bis Feuerland, 110 km bis zur tollen Bäckerei mit Casa Ciclista in Tolhuin – das Ende der Welt rückt in greifbare Nähe. Weiter soll´s am 13. Dezember gehen. Ushuaia wird also noch vor Weihnachten erreicht (und wahrscheinlich auch schon wieder verlassen).

03. – 06.12.2017 Fluch und Segen

Sonntagmorgen ging es mit starkem Wind aus der Stadt – Helmkappe für die Ohren, Jacke, Bein- und Armlinge sowie das zweite Tuch wurden dringend gebraucht, Handschuhe sowieso.

125 km bis Comandante Luis Piedra Buena – der letzten Stadt für eine ganze Weile.

8:30 Uhr geht’s los. Der Rückenwind hilft – 20 km/h sind kein Problem, auf langen Geraden in Windrichtung gern auch 30 km/h, Abfahrten bieten dann immerhin 50 – 60 km/h – schneller muss es auch nicht sein. Sobald die Straße jedoch leicht abbiegt, hat man den vollen Wind von der Seite. 15 – 20 km/h sind dann zwar noch möglich, aber angenehm ist es nicht. 56 km vor dem Ziel dreht der Wind dann vollends auf Seitwind. Hier holt mich während einer Pause aus dem Nichts ein Rennradfahrer ein, mit nur einer Trinkflasche ausgestattet. Wo kommt der auf einmal her? Wo will der hin? Scheinbar auch nach Puedrobuena und zurück – voll gegen den Wind! 25 km vor dem Ziel kommt er mir am Berg entgegen und bittet um Wasser. Ich habe genug und gebe gern ab, aber der arme Kerl hat noch einen heftigen Ritt vor sich!

Unterwegs werde ich viel angehupt und freundlich gegrüßt – nur wenige Idioten hupen mich tatsächlich von der Straße, weichen nicht aus, bremsen kaum oder gar nicht ab, obwohl Platz und freie Sicht ist. Den Vogel schießen aber zwei Mädels ab: Fahren langsam mit Warnblink hinter mir her – überholen nicht, trotz Gewinke und Platz. Also, anhalten – vielleicht wollen sie mir ja Wasser geben? Aber nein, sie gucken und tuckern weiter, beschleunigen dann wieder, während ich erstmal wieder Tempo aufnehmen muss.

In Piedrabuena dient die Tankstelle wieder als Infopunkt mit WIFI und Tee. Ein paar kleine Jungs beäugen neugierig den voll beladenen Fritz, ein älterer Herr gratuliert mir zur Etappe… Unterkünfte scheinen jedoch rar gesät. Immerhin soll es günstiges Camping, Cabanas (Hütten) und eine Hosteria auf der Insula Pavon inmitten des Flußes geben. Klingt nett, sieht auch schön aus, aber dieses Wochenende ist hier jedes Bett belegt. Ich wähle das Zelt, 200$ für eine Nacht (mit Tisch und Grill sonst 400) und Warmwasser nur bis 18 Uhr – also noch eine Stunde. Nach dem Zeltaufbau sollte es immernoch 30 min lang Warmwasser geben, aber denkste: Aqua fria ist das einzige, dass aus der Dusche kommt. Egal, Hauptsache duschen. Die Anlage ist schön gepflegt, Heißwasser für Thermoskannen und den obligatorischen Maté kann man direkt am Trinkwasserbrunnen zapfen. Am Ufer werden von einer Familie zwei Schafshälften über offenem Feuer gegrillt – DAS ist also echtes Asado. Irgendwoher kommt laute Musik, aber der Tag war lang genug, ich schlafe schnell und tief.

  1. Dezember – 100 km nach Lemarchand – Gegenwind

Am Morgen geht’s los – Gegenwind aus Süd/Südost ist angesagt. 100 km bis Lemarchand – das ist genau genommen eine Hosteria mit Benzin, mehr nicht. Die wohl einzige Unterkunft vor Rio Gallegos und Guer Aike (abgesehen von weiter entfernten Estancias und einer an der Ruta 3, 60 km hinter Lemarchand.

Am Abzweig nach Puerto Santa Cruz kann ich nochmal die Vorräte mit Pastetchen und Kuchen auffüllen – Gold wert, wie sich später rausstellt. 5,5 Liter Wasser und Limo sind am Rad, das sollte reichen. In Lemarchand kann ich dann auffüllen und vielleicht einen Ruhetag einlegen – soweit der Plan. Die ersten 15 km habe ich wider Erwarten seitlichen Rückenwind und reise mit angenehmen 20 km/h, dann dreht jedoch die Straße – von hier an gibt es nur noch Gegenwind – frontal oder schräg von rechts mit durchschnittlich 8-16 m/ Sekunde, am Berg genauso wie in der Ebene.

So geht es mit 6-8 km/h bergauf in den Nationalpark Monte Leon, und mit 10-12 km/h durch unendliche Ebenen. Auf Abfahrten mit 3 % Gefälle erreiche ich mit Treten 18 km/h. Nach dem Mittag wird der Wind noch stärker – Spaß macht das nicht. Statt stündlich muss ich halbstündlich halten um Energie zu mir zu nehmen. 16 Uhr – noch 30 km. Zum Glück entscheide ich mich dagegen, diese Etappe zu teilen und fahre weiter. Sonnenuntergang ist circa 21.30 Uhr, also genug Zeit. Wenn die Kräfte reichen.

19 Uhr – die letzten Kilometer waren besonders hart, aber endlich bin ich auf dem letzten Kilometer. Die Oberschenkel sind fest und schmerzen. Ein rotes Haus kommt in Sicht – aber merkwürdigerweise nur ein Autotransporter davor, der schon bald weiterfährt. Als ich näher komme sehe ich: Das Ding ist zu, geschlossen, verrammelt, gar eingezäunt! Sch… In den Flaschen habe ich noch einen dreiviertel Liter Wasser. Essen reichlich. Was nun? Hier gibt es keine windgeschützte Campingmöglichkeit. Weiterfahren und Suchen? Oder hier bleiben, wo ab und an Trucker Pause machen? Der Versuch zu Trampen scheitert – um die Zeit ist kaum jemand in meine Richtung unterwegs, nur zwei Pick-Ups fahren an mir vorbei, dazu Trucks ohne Ladefläche (die offiziell ohnehin niemanden mitnehmen dürfen) und PKW. Die ausgewiesenen Farms liegen mindestens 30 km abseits der Straße, über Schotterwege unerreichbar. Auf dem Parkplatz habe ich dann Glück: Ich frage nach Wasser und bekomme: 1 Liter Wasser, 1 Liter O-Saft, Oreo-Kekse und von einem anderen Fahrer nochmal 1,5 Liter Wasser – das würde für die Nacht reichen, um ggfs. morgen zu trampen oder die 60 km zur nächsten bekannten Estancia zu kommen. Noch wertvoller aber der Hinweis auf Ototelo Aike – 10 km weiter südlich.

Dort gäbe es große Gebäude. Auf dem Navi sind dort zumindest Wendekreise eingezeichnet. Es ist 20 Uhr – ich entscheide mich nach Ototelo zu fahren um dort nach Campingmöglichkeiten Ausschau zu halten. 20.45 Uhr kommen Häuser in Sicht: Wirtschaftsgebäude, ein Wohnhaus und sogar eine Abfahrt dorthin. Das erste gepflegte Wohnhaus mit Garten ist leer – aber Fahrzeuge stehen rum, der Generator läuft, ein Hund ist vor Ort. Ein Stück bergauf stehen weitere Wirtschaftsgebäude – auch hier ein Pickup, aber niemand zu sehen. Ich klopfe an verschlossene Türen, eine jedoch ist offen: Dort steht Brot und Aufstrich (der wie Götterspeise aussieht) auf dem Tisch – hier muss also jemand sein. Ich suche weiter und finde endlich den Farmarbeiter Eduardo: Ich erkläre meine Not und frage, ob ich campen dürfte. Stattdessen zeigt er mir eine Gemeinschaftsunterkunft (scheinbar für die Helfer zur Schafschur) mit Holzpritschen, warmer Dusche, großer Küche… er heizt den Gasofen an und verschwindet um kurz darauf mit einer Matratze zurückzukommen. Ein Engel. Ich darf bleiben. Es gibt nach wie vor keinen Mobilfunk, aber Strom. Und von nebenan holt Eduardo auch noch hausgebackenes Brot. Ich kann mein Glück kaum fassen.

Total fertig aber glücklich und wahnsinnig dankbar nehme ich die Dusche und Koche Unmengen Reis mit Erbsensuppe. Dazu gibt es Brot, Salami, Leberwurst und einen schönen Sonnenuntergang über dem Tal. Für die Beine gibt es Voltaren und eine kleine Massage. Morgen früh entscheide ich, ob bzw. wie weit ich weiter fahre.

Dienstag, 5. Dezember

Um 6.30 Uhr weckt mich die Sonne. Option 1: 60 km bis zur nächsten Estancia fahren. Option 2: 100 km bis Guer Aike. Option 3: 130 km bis Rio Gallegos – Optionen 2 und 3 sind aber nur mit starkem Rückenwind möglich und nach der gestrigen Etappe eigentlich nicht machbar.

Im Tal scheint kaum Wind zu sein – Bäume zum Prüfen gibt es nicht, aber es rüttelt auch nicht am Haus. 8.30 Uhr fahre ich vom Hof und komme erst auf eine wunderbare Abfahrt und dann in den Genuss von Rückenwind. Geradem, starkem Rückenwind. Es geht gut voran und Guer Aike ist gegen 15 Uhr erreicht. Hier könnte ich campen, am Campingplatz soll es auch einen Kiosk geben. Allerdings fühle ich mich trotz schrägem Gegenwind und steilen Anstiegen auf den letzten 10 km überraschend fit UND nach Rio Gallegos geht es laut Karte gerade aus nach Osten – 30 km in Windrichtung. Nach Abstecher auf den Aussichtspunkt fällt die Entscheidung: Es geht weiter, ich nutze den Wind: Auf der je Richtung zweispurig ausgebauten Autobahn mit Seitenstreifen geht es mit über 30 km/h, teils 40 km/h wunderbar voran – nach 50 Minuten bin ich in der Hafenstadt und erreichen Cecilias Haus. Den Kontakt hatte mir Francesco aus Comodoro vermittelt. 100 Meter vom Wasser entfernt darf ich hier meinen Ruhetag verbringen und werde gut gefüttert. Noch knapp 600 km bis zum „Fin del Mundo“

 

 

Morgen, am 7. Dezember, geht’s weiter. Erst zum Lago Azul – einen wassergefüllten Krater, 60 km südlich von Rio Gallegos, dann zur Chilenischen Grenze und Fähre nach Feuerland. Zuvor müssen noch alle Früchte und Milchprodukte aufgebraucht werden, an der Grenze werden diese sonst konfisziert. Bis San Sebastian sind es 280 km – allerdings teilweise auf Schotter, gut möglich, dass ich 3-4 Tage bis dorthin benötige. Nächste Städte in mehreren Etappen sind dann Rio Grande (100 km weiter), Tolhuin (weitere 130 km) und Ushuaia (letzte 110 km).

 

27.11. – 1.12.2017 Retiro zum Abgewöhnen – erste Radtage zum Eingewöhnen

Montag, 27. November

Heute sollte mich der Bus mitsamt Fritz nach Comodoro Rivadavia bringen – das Fahrrad voraus zu senden kommt nach Erfahrungsberichten anderer Radfahrer nicht in Frage. Ich will Fritz unbedingt im gleichen Bus haben. Nach Aussage der Mitarbeiter am Infoschalter von Condor Estrella am Busbahnhof Retiro auch kein Problem, solange das Rad in einem Karton ist. Die 15 kg Freigepäck, die auf dem Ticket genannt werden, sehe ich beim Anblick anderer Busreisender als symbolisch an. Mit Hilfe July finde ich einen Radladen, der einen entsprechenden Karton hat – Vorderrad, Hinterrad und Lowrider müssen ausgebaut werden, Pedale ab, Lenker quer, Sattel runter – soweit kein Problem. Mit „Fragil“-Aufklebern und meinen Daten versehen scheint der Transport sicher. Zum Bahnhof „Retiro“ geht’s per Radiotaxi – natürlich mit Aufschlag für das Mehrgepäck, aber dafür kommen wir gut an. July hilft mir noch tragen, bevor sie zu Terminen muss. Darum sind wir auch schon 4 h vor Abfahrt am Bahnhof. Der Bus kommt 12.40 Uhr, in zwei Gängen bringe ich Radkarton, Radtaschen und Rucksack zum Bus – neben mir ein Asiate mit drei großen Taschen… beide werden wir jedoch angewiesen, dass unser Gepäck zuletzt eingepackt werden würde. Die 50 Pesos für den Packer habe ich schon bereit, nur leider wird der Bus voll – immer weniger Raum bleibt im schlecht gepackten Gepäckabteil – Riesenrucksäcke und Rollkoffer oder auch zwei pro Person landen dort… Und dann: „NO“ – mein Gepäck wird nicht mitgenommen, das des Asiaten auch nicht. Schöner Sch… es folgen Diskussionen mit dem Busfahrer, aber es ist definitiv kein Platz. Während die Begleitung des Chinesen auf die Taschen schaut, lasse ich mein Ticket (kostenfrei) umschreiben – von Condor Estrella auf Andesmar – deren Bus fährt um 19 Uhr. Am Schalter wird mir versichert, dass auch der Karton mitkäme, ich solle diesen im Untergeschoss anmelden… Zur Sicherheit bitte ich July nochmal zu kommen. Denn im Erdgeschoss nimmt man mir den Radkarton nicht ab. 16 Uhr kommt July – und kann klären: Es kommt alles mit, wenn ich extra 700$ an den Packer zahle (ein Vielfaches des Üblichen – die meisten Fahrgäste reichen 10-20 $ je Tasche) – offiziell dürfe das Rad so nicht mitgenommen werden, aber wo 700$ sind, ist auch ein Weg. Gesagt getan, die Wartezeit wird mit Pizza verkürzt. Angeblich sei die Polizei mit manchem Gauner am Bahnhof verbunden, die Taschen werden also nicht aus dem Blick gelassen.

18:45 Uhr der Bus kommt. Und es geht gut. Alles wird verstaut, der Radkarton liegt gut mit nur wenigen Taschen darauf, die Schaltung etc. habe ich ohnehin extra gepolstert. Auch das chinesische Pärchen ist an Bord – ihre Taschen checkten sie vorher ein, mit je 32 kg und zusätzlichem Gepäck – da sind meine 40 kg Gepäck und Fritz mit ~ 18 kg doch ein Klacks!

Einziger Wermutstropfen: Kein Essen & Trinken im Bus – am ersten Stop decke ich mich daher nochmal mit Sandwiches ein und auf geht’s zur 25 h Fahrt. Beim Blick aus dem Fenster bin ich froh, diese Strecke nicht mit Rad gefahren zu sein – so bleiben mir 2-3 Wochen öde Pampa erspart, in Patagonien habe ich noch genug davon. Sträucher, einzelne Grasbüchel und Steinwüsten ziehen am Fenster vorbei. Jeder Stop wird genutzt um die Beine zu vertreten, im Fernsehen laufen Romantic-Comedys und Actionfilme mit spanischem Untertitel, die Klimaanlage ist wie immer gnadenlos kalt eingestellt.

Am nächsten Tag kommen wir um 20 Uhr in Comodoro Rivadavia an – eine Industriegroßstadt geprägt durch Öl, Gas und ein wenig Windenergie, im März noch von Sturm, Flut und Schlammlawinen heimgesucht – hier und da sieht man dies auch noch. Während der Wartezeit im Busbahnhof konnte ich meinen Couchsurfing-Host wechseln – statt das Rad zu montieren und noch 16 km nach Rada Tilly zu fahren, bleibe ich in der Stadt. Francesco holt mich mit seinem Jeep ab, das Rad kommt auf´s Dach, die Taschen in den Kofferraum – nicht der erste (und nicht der letzte) erstaunte Blick bzgl. des Umfangs meiner Ausrüstung. Doof nur: Im Kofferraum ist irgendwas über eine meiner Radtaschen gelaufen – leider kein Kaffee, wie erst vermutet, sondern irgendetwas ätzendes, dass die Isolierschicht beschädigt und sich nicht abwaschen lässt. In den Folgetagen wird die Stärke des Schadens deutlich. Werde die Tasche wohl spätestens nach Feuerland ersetzen – bevor es in die nassen Gegenden geht.

Francescos Familie empfängt mich, ihren ersten Couchsurfer, sehr herzlich – ich bekomme das Zimmer des „kleinen“, Classic-Rock-liebenden Bruders – Sebastian, der in der Zeit zu seiner Freundin zieht. Noch während ich das Rad montiere, werde ich eingeladen, eine Nacht länger zu bleiben, so könnte man noch die Stadt und Rada Tilly am nächsten Tag erkunden. Ich nehme dankend an. Vom Schrauben geht’s direkt an den Esstisch: Empanadas und sauerbratenähnliches Fleisch in Fischsauce – sehr lecker, sehr viel, sehr gut! Francesco, Max (der ältere Bruder, der auch Deutsch spricht), Sebastian, die jeweiligen Freundinnen, der Vati und Mutti Cecilia versorgen mich mit Energie, so gut es geht unterhalten wir uns über die geplante Tour und Musik – die Jungs schwärmen von „Accept“ einer deutschen Rockband, kennt die jemand? Ich bislang nicht. Am Wochenende kommt dann auch noch Apocalyptica nach Comodoro – das werde ich leider verpassen, schade.

Francesco hat gerade zwei Wochen frei, da er im Schichtbetrieb bei der staatlichen Ölfirma an einer Fracking-Station arbeitet – zwei Wochen Arbeit, zwei Wochen frei. Wunderbar. Wir laden die Räder auf den Jeep und fahren nach Rada Tilly – das Miami Beach Argentiniens. Strandvillen, breiter Strand mit Promenade, eine schöne Bucht und der kalte Atlantik, schön hier. Mit den Rädern geht’s den Strand entlang und letztlich den Berg hinauf zum Punto Marquez – eine Naturschutzstation im Reservat mit Ausblick auf die Seelöwenkolonie am Fuße der Klippen und die weiten des Atlantik. Irgendwo da draußen ziehen auch zwei Wale Richtung Peninsula Valdez, sind jedoch kaum auszumachen. Ein toller Ausflug!

Zurück in der Stadt werden Vorräte gebunkert. „Benzina“ für meinen Kocher gibt es leider auch hier nicht – es wird also erstmal mit Gas und NAFTA (bleifreies Benzin von der Tankstelle) gekocht. Am Nachmittag besichtige ich das Petrol-Museum von YPF, der staatlichen Ölfirma – gut gemacht und natürlich wird die Firmengeschichte ausführlich dargestellt. Im Ort scheint YPF zudem viel zu sponsern, unter anderem den Sportclub.

In der gut sortierten Hobbywerkstatt des Vaters finden wir eine passende Schraube für meine Clickpedalschuhe und nicht nur das: Ich werde noch dazu mit einer zweiten Sonnenbrille und Warnweste, am nächsten Tag zusätzlich mit Proviant, Klopapier und mehr ausgestattet.

22 Uhr – Zeit für das Abendbrot – Pizza, ein Familienburger und ebenso wunderbarer Nachtisch erwarten uns.

Am nächsten Tag soll es nach dem Frühstück losgehen – der Fürsorge noch nicht genug lassen Francesco und seine Mutter es sich nicht nehmen, mich bis Rada Tilly „über den ersten Berg“ zu bringen. Das klappt auch fast, bis der Verkehr kurz vor dem Ziel stoppt: Schwarzer Rauch, Polizei, ein Unfall? Nein: „Un March“ – Arbeiter protestieren mit Straßensperre und brennendem Reifen. Autos kommen nicht durch. Francesco hält jedoch Rücksprache mit dem Streikposten und Typen mit Fahrrad dürfen natürlich passieren. Nach herzlicher Verabschiedung geht’s nun also los, die ersten wackligen Meter unter Anfeuerung der streikenden Arbeiter und den ersten Berg hinauf – die ersten hundert Meter solle ich zur Sicherheit nicht anhalten. Aber mir will keiner was, alles gut. Dank Straßensperre hält sich der Verkehr anfangs in Grenzen. Auf der Abfahrt schwankt das Rad – die Gewichtsverteilung ist noch nicht optimal. Nach Rejustierung von Rucksack und Wasserflaschen liegt das Rad jedoch wesentlich stabiler auf der Straße. Tagesziel: Caleta Olivia – knapp 75 km weiter südlich. Dort erwartet mich Mauro von Warmshowers.

Der Weg dorthin ist trotz einiger Anstiege auf 200 m traumhaft: Immer wieder nah am Meer entlang, mit Panoramaausblick von kleinen Bergen aus. Und: Die Ruta Nacional 3 wird wohl auf 41 km erneuert – parallel zur aktuellen Straße gibt es somit bis zu vier für den Verkehr noch gesperrte Spuren, ab und an durch Kieshaufen oder einige hundert Meter Schotter unterbrochen. Eröffnet werden soll diese neue Piste 2017 – ich glaube aber nicht, dass dies bis Jahresende erfolgt. Markierungen fehlen, gegen Ende auch noch einige Kilometer Asphalt und an mancher Stelle bröckelt ebendieser schon wieder. An vielen Stellen sieht man kleine Gedenkstätten. Häufig insbesondere für die auf einer Reise verdurstete Frau, deren Baby lebend gefunden wurde, an der Brust der Muter saugend. An diesen Gedenkstellen ist es Brauch, Flaschen mit Wasser abzulegen (siehe Galerie).

Für mich ist es jedenfalls der größte Radweg der Welt – rechts Pampa, links, teils weniger als 100 Meter entfernt, das Meer, nirgends Schatten. Die „große“ Mittagspause wird daher in einem Wasserrohr unter der Straße abgehalten – da gibt es Schatten. Außer zwei verlassenen Gebäuden am Straßenrand gab es zuvor nichts. Kurz vor Caleta gibt es dann nochmal Seerobben, die scheinbar die Angler am Ufer ärgern und dabei ihren Spaß haben. Auf den Abschnitten abseits meines privaten Highways merkt man die Wucht der LKW: Unabhängig davon, dass einige kaum Platz lassen, geschweige denn abbremsen (der Großteil verhält sich aber rücksichtsvoll und bei Verkehr von hinten und Gegenverkehr weicht man eh in den Schotter aus), ist deren Sogkraft beim Überholen sehr stark. Entgegenkommende LKW schieben dafür solche Luftmassen vor sich hin, dass man abrupt abgebremst wird. Zur Sicherheit clicke ich dann lieber die Pedale aus und schalte runter, um besser ausbalancieren zu können. Die auf Luftdruck basierende Höhenmessung des Radcomputers wird dabei so stark irritiert, dass auf gerader Strecke bei Begegnung mit Trucks kurzzeitig bis zu 4% Steigung angezeigt werden (dabei zieht der Tacho den Durchschnitt der letzten 50 – 100 Meter).

Am Nachmittag komme ich in Caleta Olivia an – kleiner als Comodoro, aber mit Promenade und etlichen Kötern, die mich auf den letzten Metern ankläffen und verfolgen – kein Spaß und gerade in den hügeligen Straßen gäbe es auch keine Chance, den Viechern zu entkommen. Kaum ist einer abgeschüttelt, wartet schon der nächste. Aber Hunde die bellen … so auch heute.

Mauro empfängt mich mit Tee, wir Teilen unser Obst, später noch Gebäck. Sein Kumpel, der auf seine erste Radtour spart kommt vorbei. Mauro arbeitet nur halbtags, um sich die restliche Zeit im freien Kulturzentrum zu engagieren, sich um seinen kleinen improvisierten Garten zu kümmern und vermutlich auch um an seinen Rädern zu schrauben. Er interessiert sich sehr für den Greifswalder Kulturkalender, da er eine Kulturplattform für Caleta auf die Beine stellen will. Später fahren wir noch zur Promenade und schauen uns das Kulturzentrum an. Der Sonnenuntergang am Wasser ist traumhaft, an den Riffen gibt es wohl Austern, die Flut kommt gerade wieder. Später wird noch am kleinen Gewächshaus gegrillt bevor ich mich in Mauros Hängematte im Wohnzimmer zur Nacht bette.

 

Am Morgen letzte Besorgungen – Ersatz für eine gebrochene Schnalle an einer der Radtaschen wird benötigt. Nach dem Mittag breche ich auf – 75 km bis Fitz Roy, Rückenwind wurde vorher gesagt. Mauro begleitet mich auf seinem Rad noch bis zur Stadtgrenze. Am Anfang gibt es noch ein paar Ölpumpen, die Straße führt entlang der Küste, biegt dann aber bald ins Landesinnere ab. Dank Rückenwind sind auch die Sog- und Druckwirkungen der LKWs weniger schlimm.

Fitz Roy ist der letzte „Ort“ für die nächsten paar Hundert Kilometer. Danch folgen noch die Tankstelle mit Hotel Tres Cerros (ca. 130 km) und nach weiteren 130 km dann Puerto San Julian – wieder mit Supermarkt etc.

Gegen 18 Uhr erreiche ich die Ortschaft, in der Tankstelle gibt es Tee und WIFI – fast schon ein Ritual. Statt eines als günstig angepriesenen Hostels finde ich nur Cabanas – ab 20 EUR, einen Minishop mit Zimmern um die 18 EUR und neben der „Touristinfo“ den Campingplatz. Vollkommen leer werde ich dort wohl zum ersten Gast der Saison. Gesellschaft bietet mir ein Hund, dem ich aber kein erhofftes Leckerlie reichen kann. Die Dusche im Sanitärverschlag bietet kaltes Wasser und wurde wohl schon länger nicht mehr benutzt geschweige denn gepflegt. Die Toilette … funktioniert immerhin. Auch ohne Klobrille.

Immerhin gibt es große Kabelrollen aus Holz als Tische und Bänke sowie am wichtigsten: etwas Windschutz für das Zelt. Der Kocher wird eingeweiht und bald schon geht’s bei einstelligen Außentemperaturen in den daunengefüllten Schlafsack. Der nächste Tag ist als Ruhetag geplant – sehr starker Südwind lässt nicht ans Weiterfahren denken – nicht für 130 km, nicht bei ungesicherter Versorgungslage.

November 2017 – Buenos Aires

Zurück in Buenos Aires buche ich erstmal eine Woche Sprachkurs – zumindest ein bisschen mehr Grundwortschatz hoffe ich so zu erlernen, bevor es losgeht. Tito, Julietas Zapatero (Schuhmacher) des Vertrauens, klebt meine Wanderschuhsohle innerhalb eines Tages für wenig Geld und freut sich über seinen ersten Kunden aus dem Land Michael Schumachers.
Nun gilt es noch die nächsten potentiellen Gastgeber entlang der Route anzuschreiben, Gaskartuschen (check), Sonnenbrille (check), Kameratasche, Sandalen und Vorräte zu besorgen sowie den Bus nach Süden zu buchen. Wahrscheinlich muss ich das Rad für den Transport zerlegen (Lenker quer, Pedale ab, Räder und Lowrider/den vorderen Gepäckträger runter). Ich hoffe, Folie reicht als Verpackung aus und ich bekomme alle Radtaschen mit in den Bus. Informationen dazu findet man kaum, also probiere ich es einfach so.
So wie es aktuell aussieht, überspringe ich den geplanten Stopp an der Peninsula Valdes (bzw. Puerto Madryn mit Walen, Pinguinen, Seeelefanten) und versuche direkt nach Comodoro Rivadavia oder sogar Rio Gallegos zu kommen – mehrere hundert Kilometer weiter südlich, um dort auf´s Rad zu steigen. Anderenfalls müsste ich das Rad noch mehrmals zusammen und auseinander bauen, um auf die Halbinsel und von dort weiter zu kommen. Wale und Pinguine sah ich zudem schon in Neuseeland und ich möchte nicht nur Häkchen auf meiner Liste machen.
Wenn ich Weihnachten/Neujahr in Ushuaia sein will, sollte ich schließlich Anfang Dezember in Rivadavia starten – ich rechne nach bisherigen Beschreibungen und bei befürchtetem wechselndem Wind sicherheitshalber mit nur 400 km je Woche. Bei gleicher Geschwindigkeit schaffe ich es dann auch bis Anfang Februar sicher nach El Calafate.

In der Zwischenzeit will ich noch ein bisschen vom Jazzfestival mitbekommen, Palermo und einige Stadtparks ansehen – Puerto Madero, das frühere Hafengebiet habe ich nun schon gesehen – dort gibt es wie in Hamburg mittlerweile teure Wohn- und Bürogebäude (bzw. -türme) aber zumindest auch ein frei zugängliches Naturreservat (Reserva Ecológica), Sportflächen und eine Promenade mit vielen Buden. In San Telmo war heute „Buenos Aires Market“ mit StreetFoodTrucks, Kunst und Krempel im Park. Sehr gut auch das Eis – wahlweise in normalen Größen für 1-2 EUR, als 1/4 Kilo (2,50 EUR), 1/2 Kilo (4 EUR) oder Kilo /7,50 EUR) im Eisgeschäft des Vertrauens zu bekommen – oder man kennt die Eigentümer, wie Julietta und zahlt nur die Hälfte. Wahnsinnig lecker! Gibt´s jedoch nicht jeden Tag.

Aber ich merke, es wird Zeit auf´s Rad zu steigen – diese immer laute und wuselige Stadt (allein gestern: Jazzfestival, Gay Pride Parade, Straßenmärkte, in Unterwäsche tanzende Boybands auf der Promenade) … mit ihren Häuserschluchten erschlägt einen! So wunderschön manch Haus im Kolonialstil ist, so bedrückend sind die krassen Gegensätze mit Glas und Stahl, Architektursünden aber auch die Buden in den Armenvierteln. Schwerer als erwartet ist es an Cash zu kommen bzw. zu bezahlen – der Kreditkarteneinsatz in Geschäften ist oft auf Debit-Karten beschränkt, beim Abheben am Geldautomaten werden immer 105 Pesos (~5 EUR) Gebühr fällig und höchstens 2000 Pesos/100 EUR können auf einmal abgehoben werden. Meine tarjeta de credito bringt mir also wenig, da die Gebühren von den Banken vorgegeben werden. Bleibt noch der Geldwechsel an offiziellen und weniger offiziellen Stellen (Av. Florida – dort wird einem offen der Tausch zum minimal besseren Kurs (1:20,65 statt zu 20,20) angeboten – insbesondere, wenn man nicht sonderlich südamerikanisch aussieht. Die Zeiten des „DollarBlue“ mit deutlich besserem Wechselkurs sind jedoch vorbei. Nach der Herkunft des so offensichtlich gewaschenen Geldes fragt man besser nicht.
Ein paar Tipps erhielt ich heute noch von einem Radtourero, den ich auf der Straße traf und Ansprach – wie schon erfahren, kommt man in Argentinien wohl kaum an „Benzina“ – also Reinbenzin für den Kocher ran. Er fand auf seiner ganzen Tour von Brasilien bis Bariloche nichts. Bleiben mir also Gas (ein Butan/Propangemisch für knapp 2 Wochen habe ich in Kartuschenform dabei) und sonst nur NAFTA, das bleifreie (hoffentlich) Autobenzin. Die entsprechende Flasche für 400ml ist sowieso im Gepäck. Auf Diesel (in Argentinien „Gazolina“) will ich ungern zurückgreifen. Auch was die Wahl der Busfirma und einiges anderes angeht erhielt ich wertvolle Tipps. Auf der Fahrt nach Iguazu sah ich noch einen einsamen Pedallero auf der Fernstraße – ich bin also nicht allein 🙂

Gerade sitze ich in Palermo im Straßencafé und lade die vorgeschriebenen Texte hoch – ob es mit Bildern klappt ist bei der Verbindung fraglich. Zuvor konnte ich immerhin Sonnenbrille, Sandalen und Gaskartuschen besorgen. Im Parkhaus des Shoppingcenters kurzer Schockmoment: Fritz parkte ich extra im bewachten und eingezäunten Parkabteil für Fahr- und Motorräder – inkl. Aufnahme von Namen und Passnummer durch den Wachmann. Bei meiner Rückkehr war Fritz trotz zweier Schlösser nicht mehr da. Ein zweites Radparkdeck gab es nicht, der Wachmann nickte beim Anblick eines Fotos von Fritz, jedoch verstand ich nicht weiter. Beim zweiten Wachmann konnte dann mit Hilfe von googletranslate und einer Führung durch die Katakomben aufgeklärt werden: Fritz wurde sichergestellt, weil er zwar an sich angeschlossen, nicht jedoch an einem der Radständer gesichert war. Überglücklich nahm ich das Rad nach 20 Minuten Schweißausbruch wieder in Empfang. Argentinien scheint ZU sicher für mich zu sein 🙂

Super übrigens die Radwege / Bicisendas, soweit vorhanden: in beide Richtungen befahrbar, baulich getrennt und dennoch im Sichtfeld der Autofahrer. Mit Links vor Rechts und einhalten der Spuren gibt es ein paar Probleme – also gilt es zügig und dennoch defensiv zu fahren. Auf Einbahnstraßen (gern mal mit 6 Spuren) wie Kutschen und die Mülltrolleys (von Hand gezogene Rikschas/Karren für Karton) und alle anderen langsamen Teilnehmer links, bei Straßen mit Gegenverkehr rechts mit Abbiegen über den Zebrastreifen. Auch die OSMand-Navigationsapp findet die Bicisendas – funktioniert wunderbar.

Heute (20.11.) übrigens richtiger Regen und das nicht zu knapp… Die Tankstelle mit WiFi ist zum Glück nur 50 Meter entfernt, kann atmosphärisch mit Jazz, Schwanensee und anderen Klängen auf dem Hof des Wohnhauses (teils live aus den Wohnungen, teils vom Band) nicht ganz mithalten.

PS: Porto für einfache Postkarten: 85 Pesos – 4 EUR … dafür steht man aber immer schön in der Schlange, am Bus, bei der Post, in der Bank und auch beim Bäcker zieht man teilweise Wartenummern – wenn nur alles andere so geordnet und der Service entsprechend (schnell) wäre… Bienvenido a Manana-Land 🙂

 

PPS: 27.11. Letztes Update vor der Abfahrt – in der Tankstelle an der Ecke trifft man sich zum Fußballschauen oder Internetsurfen… morgen geht´s los 25 h Bus bis Comodoro Rivadavia – ab Buenos Aires ist das die Komplette Linie, ca. 1800 km. Aber immerhin im Cama-Bus – also mit Liegesessel. Fritz ist demontiert und eingepackt, wird hoffentlich vom Busfahrer pfleglich behandelt und überhaupt mitgenommen – so viel Platz ist in den Gepäckabteilen der Busse nicht. Am Busbahnhof wird er dann wieder zusammengebaut (Räder, Lowrider, Pedale, Lenker) und es sind Dienstagnachmittag nur 12 km bis Rada Tilly „dem südlichsten ausgebauten Seebad“ Argentiniens, des Kontinents, der Welt? Dort und einen Tag später in Caleta Olivia bleibe ich bei Warmshower/Couchsurfing-Hosts. Und danach … nicht viel. In Fitz Roy scheint es noch Tankstelle und Hostel zu geben. Danach folgen Tankstellen und Estancias in Tagesreisenabstand – sofern der Wind keinen Strich durch die Rechnung macht. Aktuell soll er laut Locals aus West / Südwest kommen – also schön von vorn. Schaun mer mal… soweit möglich melde ich mich bei der Familie per Kurznachricht, Blogeinträge wird´s aber wohl länger nicht geben können. Drückt die Daumen! Temperaturen scheinen am Anfang noch über 25 Grad zu sein (lt. Vorhersage), kein Regen, Wind um die 30 km/h, mal gucken, ob´s stimmt. Die Vorräte sind aufgestockt, Reis, Dosentuna, Suppenpulver, Haferflocken, Körner … „Steck mir Cracker in den Mund , Kling Klang, Fritz und ich, die Straße entlang. … Zwei Mal nach Feuerland bitte!“ (frei nach Keimzeit)

Statt ordentlichen Schlangen an Bushaltestellen und jeder Menge Verkehr werde ich dann hoffentlich wenigstens ein paar Autos pro Tag sehen. Wenn wegen Wind etc. gar nichts mehr geht – Daumen raus und hoffen, dass ein Pick-Up hält. Bevorzugt soll´s aber mit eigener Kraft gen Süden gehen. „Gooooooooooool“ – erklingt´s aus dem Fernseher … Zeit zu starten.

November 2017 – Cataratas Iguazu – 1. Teil – Argentinien

Nach der Landung mit der Maschine von Air Europa (eine Tochter von Iberia) in Buenos Aires mit schönem Hostel in der Innenstadt zog ich schon bald zu Julieta, meine erste Couchsurferin auf dieser Reise. Wir hatten uns schon länger verabredet, um gemeinsam zu den Wasserfällen (Cateratas) von Iguazu an der argentisch-brasilianischen Grenze zu fahren – dies aber noch per Bus (über 1000 km nördlich, 18 h Fahrtzeit / 1500 Pesos ~ 75 EUR je Richtung mit „Rio Uruquay“). Die Fahrt startet Sonntagabend am Retiro, dem großen Hauptbahnhof, entlang des Hafens und des Rio de la Plata durch die Vororte und letztlich durch schier endlose Ebenen. Je weiter es nach Norden geht, umso seltener werden richtige Straßen abseits der Hauptstraße: Häufig sind es nur Pisten, in den Dörfern stehen bäuerliche Hütten aus Holz und Blech neben Luxus-Herbergen für Touristen. Dafür wird die Vegetation üppiger, die Erde rot wie in Australien. Ein paar stolze Gauchos reiten parallel zur Autobahn entlang ihrer Weiden. Dank kostenlosem Upgrade reisen wir komfortabel im Cama-Sessel (statt Semi-Cama) – voll klappbare Ledersessel mit Beinfreiheit in denen man gut schlafen kann – mit Decke, Kissen und Bordservice wie im Flugzeug.
Der Ort Puerto Iguazu ist nicht weiter erwähnenswert. Das Iguazu Falls Hostel ist relativ günstig (12 EUR / p.N.), hat einen kleinen Pool, eine Außenküche und einen guten Eisladen direkt gegenüber. Wir kommen Montagmittag an und verbringen den restlichen Tag bei ca. 30 Grad am Pool.

Dienstagmorgen geht es per Bus zum argentinischen Ufer der Fälle – der dortige Park ist größer als der brasilianische Teil. Auch Paraquay grenzt an den Nationalpark, wird von uns aber nicht besucht. Die Hauptattraktion sind die Fälle, durch deren Mitte die Brasilianisch-Argentinische Grenze verläuft.
Wir laufen parallel zu den Gleisen der Parkeisenbahn zum „Garganta del Diablo“ (Teufelsschlund) dem vermeintlichen Highlight – man steht auf einem Steg direkt oberhalb eines hufeisenförmigen Falls, Wassernebel steigt auf, unglaubliche von der Erde braun gefärbte Wassermengen verschwinden im Nichts.

Zurück zum Parkzentrum geht es per Bummelzug und von dort weiter zu Fuß zum Cirquito Inferior – dem unteren Rundweg, den ich noch deutlich spannender finde. Häufig steht man vor oder neben riesigen Fällen, aufstobendes Wasser kühlt angenehm und Regenbögen erscheinen. Das Ausmaß dieser Fälle lässt sich kaum erahnen. Über hunderte Meter, wenn nicht sogar Kilometer, Breite stürzt das Wasser des Rio Iguazu bis zu 80 Meter tief ins Tal – mal idyllisch von Urwaldvegetation umgeben, mal in monströser Größe, immer röhrend. Der obere und der untere Weg schlängeln sich über Stege und Wege entlang der Fälle. An der Vielfalt und Gewalt kann man sich kaum satt sehen. Mitten im Fluß auf einem Stein: Schildkröten – ob die es wohl noch an Land schaffen? An anderer Stelle sieht man große geierartige Vögel, die sich am Ufer sammeln und über dem Wasser kreisen. Entlang der Wege begegnet man ab und an kleinen Affen und vor allem an den Picknicktischen frechen Nasenbären mit scharfen Klauen. An Wasserpfützen sieht man handtellergroße Schmetterlinge in blau und gelb – in diesem Klima gedeiht offensichtlich alles prächtig.

Wiederholt wird man SEHR nass – entweder an zahlreichen Plattformen vor einem Wasserfall oder am effektivsten im Speedboot, das einen direkt unterhalb der Fälle bringt, dort verweilt und einige Pirouetten dreht bevor man wieder ans Ufer gebracht wird – ein großer Spaß! Im Anschluss schaffen wir noch den sehr gut ausgebauten oberen Rundweg (Cirquito Superior) mit Panoramablicken auf die jeweils angrenzenden Fälle und Becken. Den je Richtung 3,5 km langen Weg zum Geheimtipp, einem Fall unter dem man direkt baden kann, schaffen wir leider nicht mehr, es ist schon später Nachmittag und man wird nach 15 Uhr nicht mehr dorthin gelassen. Auch die Insel San Martin zwischen den Fällen wird an diesem Tag, vermutlich wegen des Wasserstands, nicht angefahren. Dennoch ein tolles Erlebnis.