Tag Archives: Buenos Aires

27.11. – 1.12.2017 Retiro zum Abgewöhnen – erste Radtage zum Eingewöhnen

Montag, 27. November

Heute sollte mich der Bus mitsamt Fritz nach Comodoro Rivadavia bringen – das Fahrrad voraus zu senden kommt nach Erfahrungsberichten anderer Radfahrer nicht in Frage. Ich will Fritz unbedingt im gleichen Bus haben. Nach Aussage der Mitarbeiter am Infoschalter von Condor Estrella am Busbahnhof Retiro auch kein Problem, solange das Rad in einem Karton ist. Die 15 kg Freigepäck, die auf dem Ticket genannt werden, sehe ich beim Anblick anderer Busreisender als symbolisch an. Mit Hilfe July finde ich einen Radladen, der einen entsprechenden Karton hat – Vorderrad, Hinterrad und Lowrider müssen ausgebaut werden, Pedale ab, Lenker quer, Sattel runter – soweit kein Problem. Mit „Fragil“-Aufklebern und meinen Daten versehen scheint der Transport sicher. Zum Bahnhof „Retiro“ geht’s per Radiotaxi – natürlich mit Aufschlag für das Mehrgepäck, aber dafür kommen wir gut an. July hilft mir noch tragen, bevor sie zu Terminen muss. Darum sind wir auch schon 4 h vor Abfahrt am Bahnhof. Der Bus kommt 12.40 Uhr, in zwei Gängen bringe ich Radkarton, Radtaschen und Rucksack zum Bus – neben mir ein Asiate mit drei großen Taschen… beide werden wir jedoch angewiesen, dass unser Gepäck zuletzt eingepackt werden würde. Die 50 Pesos für den Packer habe ich schon bereit, nur leider wird der Bus voll – immer weniger Raum bleibt im schlecht gepackten Gepäckabteil – Riesenrucksäcke und Rollkoffer oder auch zwei pro Person landen dort… Und dann: „NO“ – mein Gepäck wird nicht mitgenommen, das des Asiaten auch nicht. Schöner Sch… es folgen Diskussionen mit dem Busfahrer, aber es ist definitiv kein Platz. Während die Begleitung des Chinesen auf die Taschen schaut, lasse ich mein Ticket (kostenfrei) umschreiben – von Condor Estrella auf Andesmar – deren Bus fährt um 19 Uhr. Am Schalter wird mir versichert, dass auch der Karton mitkäme, ich solle diesen im Untergeschoss anmelden… Zur Sicherheit bitte ich July nochmal zu kommen. Denn im Erdgeschoss nimmt man mir den Radkarton nicht ab. 16 Uhr kommt July – und kann klären: Es kommt alles mit, wenn ich extra 700$ an den Packer zahle (ein Vielfaches des Üblichen – die meisten Fahrgäste reichen 10-20 $ je Tasche) – offiziell dürfe das Rad so nicht mitgenommen werden, aber wo 700$ sind, ist auch ein Weg. Gesagt getan, die Wartezeit wird mit Pizza verkürzt. Angeblich sei die Polizei mit manchem Gauner am Bahnhof verbunden, die Taschen werden also nicht aus dem Blick gelassen.

18:45 Uhr der Bus kommt. Und es geht gut. Alles wird verstaut, der Radkarton liegt gut mit nur wenigen Taschen darauf, die Schaltung etc. habe ich ohnehin extra gepolstert. Auch das chinesische Pärchen ist an Bord – ihre Taschen checkten sie vorher ein, mit je 32 kg und zusätzlichem Gepäck – da sind meine 40 kg Gepäck und Fritz mit ~ 18 kg doch ein Klacks!

Einziger Wermutstropfen: Kein Essen & Trinken im Bus – am ersten Stop decke ich mich daher nochmal mit Sandwiches ein und auf geht’s zur 25 h Fahrt. Beim Blick aus dem Fenster bin ich froh, diese Strecke nicht mit Rad gefahren zu sein – so bleiben mir 2-3 Wochen öde Pampa erspart, in Patagonien habe ich noch genug davon. Sträucher, einzelne Grasbüchel und Steinwüsten ziehen am Fenster vorbei. Jeder Stop wird genutzt um die Beine zu vertreten, im Fernsehen laufen Romantic-Comedys und Actionfilme mit spanischem Untertitel, die Klimaanlage ist wie immer gnadenlos kalt eingestellt.

Am nächsten Tag kommen wir um 20 Uhr in Comodoro Rivadavia an – eine Industriegroßstadt geprägt durch Öl, Gas und ein wenig Windenergie, im März noch von Sturm, Flut und Schlammlawinen heimgesucht – hier und da sieht man dies auch noch. Während der Wartezeit im Busbahnhof konnte ich meinen Couchsurfing-Host wechseln – statt das Rad zu montieren und noch 16 km nach Rada Tilly zu fahren, bleibe ich in der Stadt. Francesco holt mich mit seinem Jeep ab, das Rad kommt auf´s Dach, die Taschen in den Kofferraum – nicht der erste (und nicht der letzte) erstaunte Blick bzgl. des Umfangs meiner Ausrüstung. Doof nur: Im Kofferraum ist irgendwas über eine meiner Radtaschen gelaufen – leider kein Kaffee, wie erst vermutet, sondern irgendetwas ätzendes, dass die Isolierschicht beschädigt und sich nicht abwaschen lässt. In den Folgetagen wird die Stärke des Schadens deutlich. Werde die Tasche wohl spätestens nach Feuerland ersetzen – bevor es in die nassen Gegenden geht.

Francescos Familie empfängt mich, ihren ersten Couchsurfer, sehr herzlich – ich bekomme das Zimmer des „kleinen“, Classic-Rock-liebenden Bruders – Sebastian, der in der Zeit zu seiner Freundin zieht. Noch während ich das Rad montiere, werde ich eingeladen, eine Nacht länger zu bleiben, so könnte man noch die Stadt und Rada Tilly am nächsten Tag erkunden. Ich nehme dankend an. Vom Schrauben geht’s direkt an den Esstisch: Empanadas und sauerbratenähnliches Fleisch in Fischsauce – sehr lecker, sehr viel, sehr gut! Francesco, Max (der ältere Bruder, der auch Deutsch spricht), Sebastian, die jeweiligen Freundinnen, der Vati und Mutti Cecilia versorgen mich mit Energie, so gut es geht unterhalten wir uns über die geplante Tour und Musik – die Jungs schwärmen von „Accept“ einer deutschen Rockband, kennt die jemand? Ich bislang nicht. Am Wochenende kommt dann auch noch Apocalyptica nach Comodoro – das werde ich leider verpassen, schade.

Francesco hat gerade zwei Wochen frei, da er im Schichtbetrieb bei der staatlichen Ölfirma an einer Fracking-Station arbeitet – zwei Wochen Arbeit, zwei Wochen frei. Wunderbar. Wir laden die Räder auf den Jeep und fahren nach Rada Tilly – das Miami Beach Argentiniens. Strandvillen, breiter Strand mit Promenade, eine schöne Bucht und der kalte Atlantik, schön hier. Mit den Rädern geht’s den Strand entlang und letztlich den Berg hinauf zum Punto Marquez – eine Naturschutzstation im Reservat mit Ausblick auf die Seelöwenkolonie am Fuße der Klippen und die weiten des Atlantik. Irgendwo da draußen ziehen auch zwei Wale Richtung Peninsula Valdez, sind jedoch kaum auszumachen. Ein toller Ausflug!

Zurück in der Stadt werden Vorräte gebunkert. „Benzina“ für meinen Kocher gibt es leider auch hier nicht – es wird also erstmal mit Gas und NAFTA (bleifreies Benzin von der Tankstelle) gekocht. Am Nachmittag besichtige ich das Petrol-Museum von YPF, der staatlichen Ölfirma – gut gemacht und natürlich wird die Firmengeschichte ausführlich dargestellt. Im Ort scheint YPF zudem viel zu sponsern, unter anderem den Sportclub.

In der gut sortierten Hobbywerkstatt des Vaters finden wir eine passende Schraube für meine Clickpedalschuhe und nicht nur das: Ich werde noch dazu mit einer zweiten Sonnenbrille und Warnweste, am nächsten Tag zusätzlich mit Proviant, Klopapier und mehr ausgestattet.

22 Uhr – Zeit für das Abendbrot – Pizza, ein Familienburger und ebenso wunderbarer Nachtisch erwarten uns.

Am nächsten Tag soll es nach dem Frühstück losgehen – der Fürsorge noch nicht genug lassen Francesco und seine Mutter es sich nicht nehmen, mich bis Rada Tilly „über den ersten Berg“ zu bringen. Das klappt auch fast, bis der Verkehr kurz vor dem Ziel stoppt: Schwarzer Rauch, Polizei, ein Unfall? Nein: „Un March“ – Arbeiter protestieren mit Straßensperre und brennendem Reifen. Autos kommen nicht durch. Francesco hält jedoch Rücksprache mit dem Streikposten und Typen mit Fahrrad dürfen natürlich passieren. Nach herzlicher Verabschiedung geht’s nun also los, die ersten wackligen Meter unter Anfeuerung der streikenden Arbeiter und den ersten Berg hinauf – die ersten hundert Meter solle ich zur Sicherheit nicht anhalten. Aber mir will keiner was, alles gut. Dank Straßensperre hält sich der Verkehr anfangs in Grenzen. Auf der Abfahrt schwankt das Rad – die Gewichtsverteilung ist noch nicht optimal. Nach Rejustierung von Rucksack und Wasserflaschen liegt das Rad jedoch wesentlich stabiler auf der Straße. Tagesziel: Caleta Olivia – knapp 75 km weiter südlich. Dort erwartet mich Mauro von Warmshowers.

Der Weg dorthin ist trotz einiger Anstiege auf 200 m traumhaft: Immer wieder nah am Meer entlang, mit Panoramaausblick von kleinen Bergen aus. Und: Die Ruta Nacional 3 wird wohl auf 41 km erneuert – parallel zur aktuellen Straße gibt es somit bis zu vier für den Verkehr noch gesperrte Spuren, ab und an durch Kieshaufen oder einige hundert Meter Schotter unterbrochen. Eröffnet werden soll diese neue Piste 2017 – ich glaube aber nicht, dass dies bis Jahresende erfolgt. Markierungen fehlen, gegen Ende auch noch einige Kilometer Asphalt und an mancher Stelle bröckelt ebendieser schon wieder. An vielen Stellen sieht man kleine Gedenkstätten. Häufig insbesondere für die auf einer Reise verdurstete Frau, deren Baby lebend gefunden wurde, an der Brust der Muter saugend. An diesen Gedenkstellen ist es Brauch, Flaschen mit Wasser abzulegen (siehe Galerie).

Für mich ist es jedenfalls der größte Radweg der Welt – rechts Pampa, links, teils weniger als 100 Meter entfernt, das Meer, nirgends Schatten. Die „große“ Mittagspause wird daher in einem Wasserrohr unter der Straße abgehalten – da gibt es Schatten. Außer zwei verlassenen Gebäuden am Straßenrand gab es zuvor nichts. Kurz vor Caleta gibt es dann nochmal Seerobben, die scheinbar die Angler am Ufer ärgern und dabei ihren Spaß haben. Auf den Abschnitten abseits meines privaten Highways merkt man die Wucht der LKW: Unabhängig davon, dass einige kaum Platz lassen, geschweige denn abbremsen (der Großteil verhält sich aber rücksichtsvoll und bei Verkehr von hinten und Gegenverkehr weicht man eh in den Schotter aus), ist deren Sogkraft beim Überholen sehr stark. Entgegenkommende LKW schieben dafür solche Luftmassen vor sich hin, dass man abrupt abgebremst wird. Zur Sicherheit clicke ich dann lieber die Pedale aus und schalte runter, um besser ausbalancieren zu können. Die auf Luftdruck basierende Höhenmessung des Radcomputers wird dabei so stark irritiert, dass auf gerader Strecke bei Begegnung mit Trucks kurzzeitig bis zu 4% Steigung angezeigt werden (dabei zieht der Tacho den Durchschnitt der letzten 50 – 100 Meter).

Am Nachmittag komme ich in Caleta Olivia an – kleiner als Comodoro, aber mit Promenade und etlichen Kötern, die mich auf den letzten Metern ankläffen und verfolgen – kein Spaß und gerade in den hügeligen Straßen gäbe es auch keine Chance, den Viechern zu entkommen. Kaum ist einer abgeschüttelt, wartet schon der nächste. Aber Hunde die bellen … so auch heute.

Mauro empfängt mich mit Tee, wir Teilen unser Obst, später noch Gebäck. Sein Kumpel, der auf seine erste Radtour spart kommt vorbei. Mauro arbeitet nur halbtags, um sich die restliche Zeit im freien Kulturzentrum zu engagieren, sich um seinen kleinen improvisierten Garten zu kümmern und vermutlich auch um an seinen Rädern zu schrauben. Er interessiert sich sehr für den Greifswalder Kulturkalender, da er eine Kulturplattform für Caleta auf die Beine stellen will. Später fahren wir noch zur Promenade und schauen uns das Kulturzentrum an. Der Sonnenuntergang am Wasser ist traumhaft, an den Riffen gibt es wohl Austern, die Flut kommt gerade wieder. Später wird noch am kleinen Gewächshaus gegrillt bevor ich mich in Mauros Hängematte im Wohnzimmer zur Nacht bette.

 

Am Morgen letzte Besorgungen – Ersatz für eine gebrochene Schnalle an einer der Radtaschen wird benötigt. Nach dem Mittag breche ich auf – 75 km bis Fitz Roy, Rückenwind wurde vorher gesagt. Mauro begleitet mich auf seinem Rad noch bis zur Stadtgrenze. Am Anfang gibt es noch ein paar Ölpumpen, die Straße führt entlang der Küste, biegt dann aber bald ins Landesinnere ab. Dank Rückenwind sind auch die Sog- und Druckwirkungen der LKWs weniger schlimm.

Fitz Roy ist der letzte „Ort“ für die nächsten paar Hundert Kilometer. Danch folgen noch die Tankstelle mit Hotel Tres Cerros (ca. 130 km) und nach weiteren 130 km dann Puerto San Julian – wieder mit Supermarkt etc.

Gegen 18 Uhr erreiche ich die Ortschaft, in der Tankstelle gibt es Tee und WIFI – fast schon ein Ritual. Statt eines als günstig angepriesenen Hostels finde ich nur Cabanas – ab 20 EUR, einen Minishop mit Zimmern um die 18 EUR und neben der „Touristinfo“ den Campingplatz. Vollkommen leer werde ich dort wohl zum ersten Gast der Saison. Gesellschaft bietet mir ein Hund, dem ich aber kein erhofftes Leckerlie reichen kann. Die Dusche im Sanitärverschlag bietet kaltes Wasser und wurde wohl schon länger nicht mehr benutzt geschweige denn gepflegt. Die Toilette … funktioniert immerhin. Auch ohne Klobrille.

Immerhin gibt es große Kabelrollen aus Holz als Tische und Bänke sowie am wichtigsten: etwas Windschutz für das Zelt. Der Kocher wird eingeweiht und bald schon geht’s bei einstelligen Außentemperaturen in den daunengefüllten Schlafsack. Der nächste Tag ist als Ruhetag geplant – sehr starker Südwind lässt nicht ans Weiterfahren denken – nicht für 130 km, nicht bei ungesicherter Versorgungslage.

November 2017 – Buenos Aires

Zurück in Buenos Aires buche ich erstmal eine Woche Sprachkurs – zumindest ein bisschen mehr Grundwortschatz hoffe ich so zu erlernen, bevor es losgeht. Tito, Julietas Zapatero (Schuhmacher) des Vertrauens, klebt meine Wanderschuhsohle innerhalb eines Tages für wenig Geld und freut sich über seinen ersten Kunden aus dem Land Michael Schumachers.
Nun gilt es noch die nächsten potentiellen Gastgeber entlang der Route anzuschreiben, Gaskartuschen (check), Sonnenbrille (check), Kameratasche, Sandalen und Vorräte zu besorgen sowie den Bus nach Süden zu buchen. Wahrscheinlich muss ich das Rad für den Transport zerlegen (Lenker quer, Pedale ab, Räder und Lowrider/den vorderen Gepäckträger runter). Ich hoffe, Folie reicht als Verpackung aus und ich bekomme alle Radtaschen mit in den Bus. Informationen dazu findet man kaum, also probiere ich es einfach so.
So wie es aktuell aussieht, überspringe ich den geplanten Stopp an der Peninsula Valdes (bzw. Puerto Madryn mit Walen, Pinguinen, Seeelefanten) und versuche direkt nach Comodoro Rivadavia oder sogar Rio Gallegos zu kommen – mehrere hundert Kilometer weiter südlich, um dort auf´s Rad zu steigen. Anderenfalls müsste ich das Rad noch mehrmals zusammen und auseinander bauen, um auf die Halbinsel und von dort weiter zu kommen. Wale und Pinguine sah ich zudem schon in Neuseeland und ich möchte nicht nur Häkchen auf meiner Liste machen.
Wenn ich Weihnachten/Neujahr in Ushuaia sein will, sollte ich schließlich Anfang Dezember in Rivadavia starten – ich rechne nach bisherigen Beschreibungen und bei befürchtetem wechselndem Wind sicherheitshalber mit nur 400 km je Woche. Bei gleicher Geschwindigkeit schaffe ich es dann auch bis Anfang Februar sicher nach El Calafate.

In der Zwischenzeit will ich noch ein bisschen vom Jazzfestival mitbekommen, Palermo und einige Stadtparks ansehen – Puerto Madero, das frühere Hafengebiet habe ich nun schon gesehen – dort gibt es wie in Hamburg mittlerweile teure Wohn- und Bürogebäude (bzw. -türme) aber zumindest auch ein frei zugängliches Naturreservat (Reserva Ecológica), Sportflächen und eine Promenade mit vielen Buden. In San Telmo war heute „Buenos Aires Market“ mit StreetFoodTrucks, Kunst und Krempel im Park. Sehr gut auch das Eis – wahlweise in normalen Größen für 1-2 EUR, als 1/4 Kilo (2,50 EUR), 1/2 Kilo (4 EUR) oder Kilo /7,50 EUR) im Eisgeschäft des Vertrauens zu bekommen – oder man kennt die Eigentümer, wie Julietta und zahlt nur die Hälfte. Wahnsinnig lecker! Gibt´s jedoch nicht jeden Tag.

Aber ich merke, es wird Zeit auf´s Rad zu steigen – diese immer laute und wuselige Stadt (allein gestern: Jazzfestival, Gay Pride Parade, Straßenmärkte, in Unterwäsche tanzende Boybands auf der Promenade) … mit ihren Häuserschluchten erschlägt einen! So wunderschön manch Haus im Kolonialstil ist, so bedrückend sind die krassen Gegensätze mit Glas und Stahl, Architektursünden aber auch die Buden in den Armenvierteln. Schwerer als erwartet ist es an Cash zu kommen bzw. zu bezahlen – der Kreditkarteneinsatz in Geschäften ist oft auf Debit-Karten beschränkt, beim Abheben am Geldautomaten werden immer 105 Pesos (~5 EUR) Gebühr fällig und höchstens 2000 Pesos/100 EUR können auf einmal abgehoben werden. Meine tarjeta de credito bringt mir also wenig, da die Gebühren von den Banken vorgegeben werden. Bleibt noch der Geldwechsel an offiziellen und weniger offiziellen Stellen (Av. Florida – dort wird einem offen der Tausch zum minimal besseren Kurs (1:20,65 statt zu 20,20) angeboten – insbesondere, wenn man nicht sonderlich südamerikanisch aussieht. Die Zeiten des „DollarBlue“ mit deutlich besserem Wechselkurs sind jedoch vorbei. Nach der Herkunft des so offensichtlich gewaschenen Geldes fragt man besser nicht.
Ein paar Tipps erhielt ich heute noch von einem Radtourero, den ich auf der Straße traf und Ansprach – wie schon erfahren, kommt man in Argentinien wohl kaum an „Benzina“ – also Reinbenzin für den Kocher ran. Er fand auf seiner ganzen Tour von Brasilien bis Bariloche nichts. Bleiben mir also Gas (ein Butan/Propangemisch für knapp 2 Wochen habe ich in Kartuschenform dabei) und sonst nur NAFTA, das bleifreie (hoffentlich) Autobenzin. Die entsprechende Flasche für 400ml ist sowieso im Gepäck. Auf Diesel (in Argentinien „Gazolina“) will ich ungern zurückgreifen. Auch was die Wahl der Busfirma und einiges anderes angeht erhielt ich wertvolle Tipps. Auf der Fahrt nach Iguazu sah ich noch einen einsamen Pedallero auf der Fernstraße – ich bin also nicht allein 🙂

Gerade sitze ich in Palermo im Straßencafé und lade die vorgeschriebenen Texte hoch – ob es mit Bildern klappt ist bei der Verbindung fraglich. Zuvor konnte ich immerhin Sonnenbrille, Sandalen und Gaskartuschen besorgen. Im Parkhaus des Shoppingcenters kurzer Schockmoment: Fritz parkte ich extra im bewachten und eingezäunten Parkabteil für Fahr- und Motorräder – inkl. Aufnahme von Namen und Passnummer durch den Wachmann. Bei meiner Rückkehr war Fritz trotz zweier Schlösser nicht mehr da. Ein zweites Radparkdeck gab es nicht, der Wachmann nickte beim Anblick eines Fotos von Fritz, jedoch verstand ich nicht weiter. Beim zweiten Wachmann konnte dann mit Hilfe von googletranslate und einer Führung durch die Katakomben aufgeklärt werden: Fritz wurde sichergestellt, weil er zwar an sich angeschlossen, nicht jedoch an einem der Radständer gesichert war. Überglücklich nahm ich das Rad nach 20 Minuten Schweißausbruch wieder in Empfang. Argentinien scheint ZU sicher für mich zu sein 🙂

Super übrigens die Radwege / Bicisendas, soweit vorhanden: in beide Richtungen befahrbar, baulich getrennt und dennoch im Sichtfeld der Autofahrer. Mit Links vor Rechts und einhalten der Spuren gibt es ein paar Probleme – also gilt es zügig und dennoch defensiv zu fahren. Auf Einbahnstraßen (gern mal mit 6 Spuren) wie Kutschen und die Mülltrolleys (von Hand gezogene Rikschas/Karren für Karton) und alle anderen langsamen Teilnehmer links, bei Straßen mit Gegenverkehr rechts mit Abbiegen über den Zebrastreifen. Auch die OSMand-Navigationsapp findet die Bicisendas – funktioniert wunderbar.

Heute (20.11.) übrigens richtiger Regen und das nicht zu knapp… Die Tankstelle mit WiFi ist zum Glück nur 50 Meter entfernt, kann atmosphärisch mit Jazz, Schwanensee und anderen Klängen auf dem Hof des Wohnhauses (teils live aus den Wohnungen, teils vom Band) nicht ganz mithalten.

PS: Porto für einfache Postkarten: 85 Pesos – 4 EUR … dafür steht man aber immer schön in der Schlange, am Bus, bei der Post, in der Bank und auch beim Bäcker zieht man teilweise Wartenummern – wenn nur alles andere so geordnet und der Service entsprechend (schnell) wäre… Bienvenido a Manana-Land 🙂

 

PPS: 27.11. Letztes Update vor der Abfahrt – in der Tankstelle an der Ecke trifft man sich zum Fußballschauen oder Internetsurfen… morgen geht´s los 25 h Bus bis Comodoro Rivadavia – ab Buenos Aires ist das die Komplette Linie, ca. 1800 km. Aber immerhin im Cama-Bus – also mit Liegesessel. Fritz ist demontiert und eingepackt, wird hoffentlich vom Busfahrer pfleglich behandelt und überhaupt mitgenommen – so viel Platz ist in den Gepäckabteilen der Busse nicht. Am Busbahnhof wird er dann wieder zusammengebaut (Räder, Lowrider, Pedale, Lenker) und es sind Dienstagnachmittag nur 12 km bis Rada Tilly „dem südlichsten ausgebauten Seebad“ Argentiniens, des Kontinents, der Welt? Dort und einen Tag später in Caleta Olivia bleibe ich bei Warmshower/Couchsurfing-Hosts. Und danach … nicht viel. In Fitz Roy scheint es noch Tankstelle und Hostel zu geben. Danach folgen Tankstellen und Estancias in Tagesreisenabstand – sofern der Wind keinen Strich durch die Rechnung macht. Aktuell soll er laut Locals aus West / Südwest kommen – also schön von vorn. Schaun mer mal… soweit möglich melde ich mich bei der Familie per Kurznachricht, Blogeinträge wird´s aber wohl länger nicht geben können. Drückt die Daumen! Temperaturen scheinen am Anfang noch über 25 Grad zu sein (lt. Vorhersage), kein Regen, Wind um die 30 km/h, mal gucken, ob´s stimmt. Die Vorräte sind aufgestockt, Reis, Dosentuna, Suppenpulver, Haferflocken, Körner … „Steck mir Cracker in den Mund , Kling Klang, Fritz und ich, die Straße entlang. … Zwei Mal nach Feuerland bitte!“ (frei nach Keimzeit)

Statt ordentlichen Schlangen an Bushaltestellen und jeder Menge Verkehr werde ich dann hoffentlich wenigstens ein paar Autos pro Tag sehen. Wenn wegen Wind etc. gar nichts mehr geht – Daumen raus und hoffen, dass ein Pick-Up hält. Bevorzugt soll´s aber mit eigener Kraft gen Süden gehen. „Gooooooooooool“ – erklingt´s aus dem Fernseher … Zeit zu starten.