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24.02. – 11.03.2018 von Bariloche nach Santiago de Chile

Nach dem Abschied von Janine und wenigen Tagen zum Sortieren geht’s weiter – zurück auf die Piste, um den See herum nach Villa La Angostura.Im Urlaubsort der scheinbar besser betuchten Gäste, die die Natur am liebsten durch das Fenster ihres Spa-Hotels sehen übernachte ich bei Vinz und seinen drei Mitbewohnerinnen – allesamt deutsche Freiwillgendienstleistende (weltwärts), die nach dem Abi hierher kamen um im Ort ein Laienorchester zu betreuen und Musikunterricht zu geben. Klingt nach einem spannenden Projekt. Nach Abendessen und Spaziergang zum See teile ich mir das Wohnzimmer mit einem weiteren Couchsurfer. Zum Frühstück speisen wir Müsli und Pan Aleman bevor ich mich zur Sieben-Seen-Tour (Siete Lagos) nach Norden aufmache. An die Seen kommt man leider an wenigen Stellen ran, um so schöner ist der offizielle Wildcampplatz am Flußufer – Trinkwasser gibt’s auch, beim nahegelegenen Bezahlcampingplatz. Unterwegs treffe ich einige leichtbeladene Bikepacker und Mountainbiker, die aber trotzdem nicht rascher über die Berge kommen (solche Lappen ;)). Besonders beeindruckend ist jedoch die tiefgebräunte Soloradlerin, die mit 67 Jahren unterwegs nach Süden ist und tagsüber nur gesüßten Tee zu sich nimmt – wäre ernährungstechnisch ja nicht so meins. Neben mir zeltet ein japanischer Feuerwehrmann, seit 3 Jahren unterwegs inklusive Kühlbox auf dem Gepäckträger– der bräuchte mal wieder ´nen Reifenwechsel: Normalerweise sollte man spätestens tauschen, wenn die blaue Schicht des Pneus zu Tage tritt. Bei ihm dachte ich jedoch erst an ein Sondermodell: die gesamte Lauffläche beider Reifen war bereits blau (letzte Wechsel in Kalifornien bzw. Panama). Vor der Carretera Austral mit ihrem Schotter sollte er also doch mal wieder über neue Schlappen nachdenken.

Weiter geht’s nach San Martin de los Andes – über eine kräftige Steigung und lange bergab am See entlang. Da ich bereits Mittags dort ankomme und der Wind günstig steht, geht’s noch 45 km weiter nach San Junin de los Andes mit dem Vulkan Lanin im Blick.

Nach wie vor ist es sommerlich – kein Tag unter 20 Grad, der Wind kommt jedoch nicht immer aus der „richtigen“ Richtung. An diesem 1. März gibt es Gegenwind und von 800 m ü NN geht es über den 1200 m hohen Pass – zum Großteil auf Asphalt, lediglich 10 km im Nationalpark sind Schotter der schlechteren Sorte. Zum Mittag erreiche ich nach 70 km die Passhöhe und mache Mittag am Fuße des Vulkans. Sonderlich gemütlich ist es hier nicht – trotz Sonne, WIFI der Nationalparkverwaltung und einem einfachen Campingplatz. Außerdem habe ich in Pucon noch eine Couch für diese und die nächste Nacht in Aussicht. Also geht’s nach ausgiebigem Mittag weiter – nochmal 75 km, ein gutes Stück bergab vorbei an Araukanien, See, Felsformationen, einem wunderbaren Fluß, dessen Anrainer gern darin baden und Baumhäuser bauten – überhaupt ist fast alles aus Holz gebaut, auch die Tankstelle. Reife Brombeeren am Straßenrand und ein Kiosk mit Zitronenkuchen sowie „Mote con Huesillos“ (Getreide in süßem, kaltem Tee mit eingelegtem Pfirsich) versüßen die weiteren kurzen Stops. Dabei ist es so warm, dass ich doch gern an einer der Auen gecampt und gebadet hätte. Nach dem bisher längsten Tag mit 145 km erreiche ich Pucon auf 200 m ü NN – eine trubelige, touristische Stadt. Aber zum Glück ist Saisonende. Bei Maria beziehe ich meine „Couch“ – ein eigenes Zimmer mit Bad und revanchiere mich mit vernünftigem Salat, der anders als der landestypische nicht nur aus Zwiebeln und Tomate und mit Glück ein bisschen Grün besteht. Meine Gastgeberin verkauft Erlebnistouren in einer Agentur, die Besteigung des Vulkans Villarica buche ich dennoch bei der sehr guten Konkurrenz und ziehe nach zwei Nächten wie vorgesehen in ein wunderbares Hostel mit Enten, Hund, Slackline, Hängematten, Tischtennistisch und mehr.

Die Tour auf den Villarica beginnt noch vor Sonnenaufgang – 6.30 Uhr ist Treff am Agenturbüro, die am Vortag ausgewählte Ausrüstung wird übergeben bzw. angezogen und lwir werden zum Start des Aufstiegs gefahren. Drei Guides und mit mir sechs Möchtegernalpinisten mit Helm, Steigeisen, Eishacke und Gasmaske steigen in den Kleinbus, der uns zur Talstation des Vulkans bringt. Oben am Gipfel hängen hartnäckige Wolken und wir werden aufgeklärt, dass wir vielleicht nichts sehen werden oder gar abbrechen werden müssen, sollten sich die Bedingungen verschlechtern. Entscheiden Sie jetzt: Umkehren und an einem anderen Tag nochmal probieren oder es wagen – ohne Geld zurück. Nach 15 min steht fest, alle wollen es versuchen. Mit den Worten der Brigade Futur III: Alles wird gut gegangen sein werden. Kurz darauf sitzen wir im etwas in die Jahre gekommenen Sessellift (gut festhalten, kein Sicherungsbügel) – alternativ hätte man auch eine Stunde durch Vulkanasche zum Beginn des eigentlichen Weges hinauf laufen können. Von dort sind es noch gut 900 Höhenmeter hinauf zum Krater – ab 9 Uhr laufen wir immer hinter einem der Guides entlang, beständig in recht langsamen, aber angenehmen Tempo und regelmäßiger Pause. Die beiden anderen gehen weiter vor oder helfen bei Bedarf den Gebrechlichen. Später werden die Steigeisen angelegt, um über die Eisfelder am Hang gehen zu können, die Eisaxt ist nützlich als Wanderhilfe. Ein englisches Pärchen ist scheinbar keine Höhen über 150 m gewohnt, beißt sich aber tapfer durch. Es geht vorbei an der Ruine eines alten Lifts, der bei einem früheren Ausbruch (in den 1970ern?) zerstört wurde. Der Villarica zählt zu den aktivsten Vulkanen des Kontinents, der letzte Ausbruch vor einigen Jahren hatte jedoch keine Folgen für die Menschen im Tal. Im Winter werden die Hänge zum Skigebiet. Unterwegs sieht man leider nichts vom Tal, den umliegenden Seen und Vulkanen – die Wolkendecke ist zu dicht und wir mittendrin. Zum Mittag gelangen wir zum Krater (2840 m) und stehen wörtlich über den Wolken. Aus diesen ragen der Vulkan Lanin und andere Gipfel heraus – ein fabelhafter Anblick. Im Krater ist, wie uns erklärt wird, zu viel Feuchtigkeit und damit Dampf, sodass man leider nicht sonderlich tief sehen kann. Die aufsteigenden Schwefeldämpfe reizen dafür umso mehr die Atemwege und Augen – trotz Gasmaske wird kräftig gehustet. Der größte Spaß folgt aber erst noch: Der Abstieg erfolgt nicht immer auf den Beinen. Gut ein Drittel der Strecke rutschen wir in Rinnen über verschiedene Eisfelder hinab: Mal auf dem blanken Hosenboden (der gestellten Überhosen), mal auf einem Arschleder aus Kunststoff – die Eisaxt immer nah an der Hüfte als Bremse. Gelingt es nicht, das Tempo damit ausreichend zu regulieren, fliegt man auch mal aus der Rinne, dreht sich und rutscht den Hang rückwärts hinab. Die Guides sehen das nicht so gern, aber dieser kleine kurzfristige Kontrollverlust fetzt! Die Engländer landen allerdings deutlich weiter neben der Spur und versuchen dann wieder heraufzukraxeln – ohne Schadenfreude witzig anzusehen. Die letzten Meter geht es mit Schnee in der Hose über Vulkanasche hinunter zum wartenden Kleinbus. Nun sieht man auch das Tal endlich wieder. Nach etwas Obst und Zielbier in der Agentur bleibt noch ein ganzer halber Tag.

Diese Tour könnte (!) man übrigens auch allein, also ohne Agentur, machen – verlaufen würde man sich auf Grund der vielen geführten Gruppen wohl kaum. Aber so müsste man den Transport zur Talstation und auch zurück organisieren (je 1 Autostunde), die Genehmigung der Parkverwaltung einholen und sämtliche Ausrüstung mieten (Eishacke, Steigeisen, Helm etc werden von der Parkverwaltung verlangt und überprüft, Gasmaske empfohlen; das Arschleder, Stiefel und die gestellte Oberbekleidung erwiesen sich als sehr gut und schonten die eigenen Klamotten). Nicht zuletzt war die Einweisung, wie und wo man richtig/sicher herunterrutscht nicht ganz unnütz. Zwei Typen sahen wir beim Aufstieg, die nach den Rinnen hinunter fragten und diese dann mit Mülltüte unterm Popo herunterrutschen wollten. Vielleicht war dies nicht des cleverste Idee. Ich bereue jedenfalls nicht, die etwas weniger abenteuerliche Variante gewählt zu haben.

Also, was tun mit dem nun sonnigen Nachmittag? Seit Villa la Angostura habe ich den Salto del Claro im Kopf – mein Host Vinz zeigte mir ein Video seines Besuchs und schwärmte davon. In Laura, die mit auf der Vulkantour war und eigentlich gerade auf Dienstreise für die bayerische Umwelthilfe in der Region ist, aber heute frei hat, finde ich eine begeisterte Mitstreiterin. Nach dem Mittag geht’s per Rad der wagen Wegbeschreibung nach zum „versteckten“ Wasserfall im Wald. Viele bekommen den Hinweis zum Besuch dieses schönen Ortes als Gast des ChiliKiwi-Hostels im Ort – betrieben von einem Neuseeländer, der eine handgezeichnete Karte mit dem Weg bereit hält. Mittlerweile findet man die Wegbeschreibungen aber auch online. Nach ein bisschen Suchen, steilen Sträßchen und Brombeeren am Wegesrand (wiederhole ich mich?) sowie einer falschen Abbiegung (den verblassten Pfeil am Baum inmitten des Waldes konnte man wirklich kaum sehen) gelangen wir zum wunderbaren Wasserfall – ohne Frage, da muss man baden, auch wenn die Sonne nicht mehr so kräftig scheint. Der Druck des fallenden Wassers ist immens, auch hinter die Kaskade gelangt man. Zwei Jungs klettern noch ein bisschen mehr rum und kommen so in die kleine Höhle neben dem Fall. Der Kessel rundherum ist wahnsinnig grün, die Vegetation durch den Wasserdampf eine ganz andere als im Wald rundherum. Zwar ist das Wasser auch hier sehr frisch, aber wunderbar! Was für ein Tag: Hinauf zum Vulkankrater, hinunter gerutscht auf Schnee und zum Schluss noch im subtropisch anmutenden Wasserfall gebadet. Gefällt mir richtig gut!

Nach insgesamt drei wunderbaren Pausentagen (inkl. Vulkanbesteigung) in Pucon mit dem vorerst letzten leichten Regen am Tage (bis zum 1. April 2018) für die nächsten Wochen ging es am 5. März weiter – mit viel Sonne und deutlich über 25 Grad auf der teils stärker befahrenen Landstraße vorbei an Brombeeren, Ausblicken auf den Vulkan Villarica und reifen Brombeeren, die gepflückt werden wollten, durch den Ort Villarica mit nochmaligem Blick auf den gleichnamigen Vulkan und schwarzem (künstlich geschaffenen) Strand … und noch mehr Brombeersträuchen zur Ruta 5, DER Autobahn, die ich teils schon rund um Chiloe fuhr und auf der ein größerer Abschnitt der Panamerikana verläuft. Von hier bis Santiago gab es schöne Tankstellen zum Rasten und Campen, einen meist guten Seitenstreifen, viel Wald und Verkaufsstände am Straßenrand, zwei Fahrspuren je Richtung, mäßigen Verkehr, leider auch sich lange in den Tälern haltenden Rauch aus den Wäldern oder von angrenzenden Grundstücken (was auch immer da verbrannt wurde), vor Santiago dann mehr Wein und die (intakte) Eisenbahnlinie mit netten Brücken. Am Horizont tauchten manchmal die Voranden auf, das war´s dann aber auch schon mit Highlights. Knapp 700 km von Freire nach Santiago waren nach knapp 6 Tagen abgehakt. Unterwegs stoppte ich zum Campen an den COPEC-Tankstellen, die auch Duschen zur Verfügung stellten (manchmal gar eine Truckerlounge mit TV, WIFI und einmal auch einen Waschsalon), in mehr oder minder austauschbaren Städten (Los Angeles, Chillan, Victoria, Linares, San Fernando) und zu Beginn der Etappe auf einer Weide neben dem Truckstopp, 50 m von der Autobahn entfernt, wo mich der deutschstämmige Besitzer nach Einbruch der Dunkelheit mit seinem Jeep anstrahlte, mir nach kurzem Interview aber die Übernachtung gewährte – da ich Deutscher sei, sei das ohnehin kein Problem. Merkwürdiges Konzept, das Bleiberecht eines verzottelten Burschen an dessen Pass festzumachen. Apropos „deutsch“ – die ehemalige „Colonia Dignidad“ liegt knapp 50 km von der Ruta 5 entfernt, nennt sich jetzt „Villa Bavaria“ und wirbt mit vermeintlich deutscher Folklore auf Großplakaten um Gäste, die dort Speisen und Übernachten. Ein Besuch bei dem Verein spare ich mir jedoch und träume vom nächsten selbst gebackenen Brot – nur der Ofen fehlt, wobei irgendwann auch die Campingkocherversion ausprobiert wird.

In den Städten fand ich zumeist Unterkunft bei Couchsurfern, wurde am 8. März in Chillan gleich zum Frauentagsmarsch inklusive wiederholter Kreuzungsblockade eingeladen sowie von Vätern und Müttern der Couchsurfer mit Extraportionen zum Abend und Morgen versorgt. In Victoria schlief ich beim Haus-/Kultur- und Recyclingprojekt Oveja Verde – dem grünen Schaf (da eine NGO, ausnahmsweise mit Link) und „erarbeitete“ mir den Schlafplatz, in dem ich ein paar aus Bierflaschen gefertigte Gläser schliff. Neben Bierflaschen werden auch PET-Flaschen gesammelt, teils gebündelt als Wertstoff weiterverkauft oder aber einen neuen Nutzung zugeführt: Glasflaschen werden zu Gläsern, Lampenschirmen und anderem, wobei der Flaschenhals erst geritzt und dann mit heißem Draht sauber abgetrennt wird, Plastikflaschen zu Kunst und nützlichen Gegenständen. Mit den Verkaufserlösen wird das offene Haus mit Saal für Kultur und Workshops unterhalten, keiner verdient, jede/r hilft in der Freizeit, soviel er/sie möchte. Ein schöner Anblick in einem Land, in dem es nur wenige Pfandflaschen gibt, Müll verbrannt oder verklappt wird und, abgesehen von den tausenden Plastikflaschen an Schreinen für die Diffunta Correa, kein Kunststoff vom Restmüll getrennt wird.

Einer der schönsten Campingplätze dieses Abschnitts lag an einer Obstplantage, mit Pool und großer Küche. Als einziger Bewohner der Anlage ließ es sich dort wunderbar aushalten. Zwei mal wurden mir Mitfahrgelegenheiten quasi aufgedrängt – von einem älteren Herren um die 80 mit Zwiebeln und Knoblauch auf der Ladefläche des Pickups, der mich an einer Tanke ansprach für knapp 70 km und von einem Geschäftsmann, der mich an einem sehr heißen Tag freundlicherweise die letzten 40 km mit nach Chillan nahm. Manchmal ist es schön in Ländern unterwegs zu sein, deren Einwohner gern Wägen mit Ladefläche fahren. Zu sehen gab es abseits der Ruta 5 wenig – von den zu diesem Zeitpunkt eher trockenen Wasserfällen Saltos del Laja mal abgesehen. Die Autobahn ist auch für Radfahrer das, was sie nun mal ist: Eine Schnellstraße, nach Norden zu dieser Zeit auch oft mit etwas Rückenwind und nicht zu vielen Steigungen.

Mit ein wenig mehr Verkehr ging es schließlich nach Santiago hinein – da gerade Sonntag war, hätte ich es aber sicher schlechter erwischen können, was die Verkehrslage anging. Zu Santiago de Chile, Valparaiso sowie dem bisher höchsten Pass nach Chile (3824 m ü NN), Mendoza und mehr dann in den nächsten Beiträgen.

17.01. – 03.02.2018 Chiloe, Vulkane und Seen

Mit einem Steaksandwich zum Frühstück geht es gegen 6 Uhr auf die Fähre. Um 7 Uhr laufen wir im Morgengrauen aus und lassen Puerto Cisnes hinter uns. Nebel und Wolken lassen die Fjordlandschaft nur erahnen, einige Muschel- und Fischfarmen ziehen an der Fähre vorbei. Während der 12-stündigen Fahrt gibt es lediglich einen kurzen Stopp an einer Insel, bevor die Menschen in Quellon an Land strömen. Quellon – südlichste Stadt der Insel ist reizarm. Irgendwo soll ein „Ende der Panamericana“-Schild stehen, es gibt einige Supermärkte, das übliche „Kunsthandwerk“, einfachste und dennoch nicht so günstige Unterkünfte und das Gefühl, dass die Stadt schon deutlich bessere Zeiten sah. Bemerkenswert ist die Duschkonstruktion meiner Hospedaje: Scheinbar wird das Wasser direkt im Duschkopf, der an einen Fön erinnert, elektrisch erhitzt. Zumindest deuten die Kabel daraufhin. Ich wähle dann doch lieber die andere Dusche, deren Installation etwas sicherer scheint.

Zum Mittag ein Highlight der Inseltage: Curanto – Muscheln, Fisch, Schwein, Rind, Gemüse, Kartoffeln und Brühe in einem Gericht. Sehr reichhaltig und genug Eiweiß für die nächsten Tage. Traditionell wird diese Art Eintopf im Erdloch zubereitet. Ich bekam offensichtlich die moderne Küchenvariante und nahm an, die Muscheln kommen direkt von der schwimmenden Muschelfarm, die man vom Restaurant aus sehen konnte.

Am nächsten Morgen geht es direkt weiter auf der Ruta 5 – der Autobahn die am Festland auch nach Santiago de Chile führt. Nach 100 km erreiche ich Cucao – circa 20 km von der Ruta 5 entfernt. Wind und fiese, riesige, orangene, hungrige Pferdebremsen mindern den Fahrtgenuss auf den letzten Kilometern – Wildzelten an einem der Seen ist so jedenfalls nicht möglich. Cucao rühmt sich seines kilometerlangen Pazifikstrandes – kiesig, wildromantisch und kalt. Am Horizont ahnt man die „12 Apostel Chiles“ – ähnlich denen in Australien ragen Felsen aus der Brandung. Der Weg dorthin ist jedoch nochmal 15 km weit und verläuft über fieses Waschbrett. Nach dem kurzen Strandbesuch verbringe ich den Abend lieber am Zelt mit Blick auf den See. Der nahe Nationalpark bietet keine andere Landschaft als das Umland, wird also nicht besucht.

Zurück zur Ruta 5, solange es nieselt auch ohne lästige Beißinsekten. Nach dem Kaffee- und Kuchenstop wecken die ersten Sonnenstrahlen aber auch diese Biester auf. Castro, 60 km weiter, bietet ein paar Pfahlhäuser, mehrere der für Chiloe typischen hölzernen Kirchen, frisches Obst und eine sehr nette Herberge mit entspannten Menschen. Zudem ist Castro Ausgangspunkt für Ausflüge zu den vorgelagerten Inselchen. Nächster Stop nach weiteren 100 km ist Ancud – ein für die Region typisches Folklore- und überwiegend Fressfest ließ ich aus, fuhr aber ein bisschen durch das Hinterland und wieder auf der 5 weiter nach Norden.

Ancud, bereits im Norden der Insel rühmt sich seiner spanischen Festung, oder dem, was davon übrig blieb – ein paar alte Kanonen und geschliffene Mauern – sehr übersichtlich. Dennoch macht das Städtchen einen netten Eindruck – beim Gemüsehändler beginnt mit dem Namen „Arturo Vidal“ mal wieder eine nette Unterhaltung, die in geschenktem Obst mündet. Mit einem Pausentag (inklusive Ananas mit Minzzucker, selbstgebackenem Brot und Sonnenbad auf der Veranda) auf der angeblich so regenreichen Insel stimme ich mich auf das Festland ein und verlasse nach knapp 5 Tagen die Insel in Richtung Puerto Montt / Puerto Varas. In der Nähe steigt Rauch auf und ein Löschhubschrauber pendelt über Stunden zwischen der nahen Bucht und dem Feuer, offensichtlich innerhalb der Stadtgrenze – bei all den Holzbauten entlang der Straßen ein Anblick mit fragwürdigem Bauchgefühl.

Frisch geht´s vom nächsten Hafen aus auf der Autofähre ans Festland. Nach 20 Minuten Überfahrt wird auch der letzte Rest der nächsten 100er Etappe auf dem Seitenstreifen der mehrspurigen Autobahn gefahren. Vermutlich auf Grund der Mautgebühren ist der Verkehr bis wenige Kilometer vor Puerto Montt jedoch kaum existent. Auf Flüsterasphalt geht es an Fahrradverbotsschildern und Mautstationen vorbei – die einzige Polizeistreife die ich heute sehe, besteht darauf, mir an der Autobahnauffahrt die Vorfahrt zu überlassen. Ich schließe daraus die wohlwollende Duldung unmotorisierter Zweiräder auf der Schnellstraße. In Puerto Montt wird direkt am Knast Kunsthandwerk (der Insassen?) verkauft, ein Blick hinunter in den Talkessel mit Kreuzfahrtdampfer genügt jedoch, um Puerto Varas – kaum 20 km weiter – den Vorzug für´s Nachtquartier zu geben: Eine goldrichtige Entscheidung: Der Ort ist sonnig, liegt am See und das wichtigste: Beim Campen im Hostelgarten treffe ich Liam und Jake – meine beiden ebenso bärtigen wie auch sympathischen Reisekameraden aus England. Spontan bleiben wir eine Nacht länger, backen gemeinsam vegetarische Pizza, gefolgt von Apfelkuchen und Pan Aleman. Nach kleinen Kostproben möchte die Hostelbetreiberin uns adoptieren, aber wir wollen wieder auf´s Rad. Jake und Liam hatten gerade einen Monat Radpause – um auf Kuba Familie und Freundin zu treffen (Liam) bzw. zur versuchten Besteigung des 6.900 m hohen Aconcaqua bei Mendoza und um in Santiago zu arbeiten (Jake als Stage-Rigger einer größeren Show). Und auch die beiden erhielten in O´Higgins am Grenzposten keine Touristenkarte (mit Hinweis des Grenzers,der Stempel würde doch reichen), geben mir aber den heißen Tipp, diese in Puerto Varas beim örtlichen Polizeiposten nachträglich ausstellen zu lassen. Das klappt ohne Probleme und ist wohl eine gute Entscheidung, sonst hätte ich von der Grenze wohl nochmal zurückfahren können, um die Karte irgendwoher zu bekommen.

Die kommende Woche fahren wir gemeinsam entlang der Seen (südlich des Llanquihue sogar auf Radwegen) und Vulkane (Osorno u.a.), campen teils wild, queren Flüße mit allen Rädern auf winzigen Booten, baden in Seen, Flüßen und (kleinen) Wasserfällen, haben wunderbare Mittagspausen und Unterhaltungen. Das Wetter ist weiterhin überwiegend sommerlich, oft über 20 Grad warm und trocken. Zusammen bilden wir das 3B-Team – Boys with blue Jackets and Beards. Mit 70-80 km per Tag geht es Richtung Argentinien und über den Pass im Park Puyehue schließlich ins Nachbarland. Von 300 m geht es binnen 25 km hoch auf 1300 km und auf der anderen Seite auf der Kilometerlangen Abfahrt wieder hinunter auf 800 Meter. Die Staatsgrenze lässt sich auch am unterschiedlichen Straßenbelag erkennen. Beeindruckend sind nicht nur die nahen Vulkane, auch die in Bränden zerstörten Wälder mit den ausgeblichenen hölzernen Überbleibseln haben ihren ganz eigenen Reiz. In Villa Angostura „schlafen“ wir auf dem bisher staubigsten Campingplatz – der ist eigentlich ganz schön angelegt, wenn auch vernachlässigt. Tagsüber sind die musizierenden Hippies hier ja noch ganz witzig. Aber als dann ab 23 Uhr Lagerfeuer und Musik direkt neben unseren Zelten starten, bei weitem nicht jeder Ton getroffen wird und das Gelage bis weit in den Morgen fortgesetzt wird, bereuen wir unsere Schlafplatzwahl. Müde gehen wir am nächsten Tag die letzte Etappe nach Bariloche an – nochmal rund 90 km durch Pampa, Sonne und ein bisschen Windschattenfahren. Während die Jungs campen, nutze ich mal wieder eine Hostelküche zum Backen, kuriere eine kleine Erkältung aus und fahre den Circuito Chico – eine 20 km lange Rundtour außerhalb Bariloches (insgesamt dann doch immerhin 54 km) vorbei an Stränden, Aussichtspunkten, Minibrauereien und Wäldern.

Die Stadt selbst ist sehr touristisch und vor allem die außerhalb liegenden Siedlungen überzeugen mit alpenländlicher Architektur, Wanderwegen und Stränden am kalten See. Nach zwei Tagen treffen wir drei Bärtigen uns wieder auf dem Campingplatz „Selva Negra“ und besteigen den Cerro Bella Vista – 2 h geht es steile 1000 Höhenmeter bergauf (auf 1700 Meter). Der Lohn ist ein umwerfender 360° Blick auf umliegende Berge, die Stadt, den See. Wunderbar! Am 3.2. nehme ich schließlich Abschied von den liebgewonnenen Engländern. Die Jungs fahren weiter nach Norden zur 7-Seen-Route (die ich erst Ende Februar fahre) und ich nehme am nächsten Morgen das Flugzeug nach El Calafate. Zuvor gab es noch ein Wiedersehen mit Andreas  – wie verabredet am 2.Februar um 19 Uhr an der Touristinfo. Ihm erging es wohl gut. Nach ein paar Getränken und leckerem Burger verabschieden wir uns endgültig. Fritz wartet derweil in einem Hostel auf Ersatzteile – nach 3100 km wollen Kette, die Kassette und das zweite Kettenblatt ausgetauscht werden – zuletzt rutschte die Kette auf Grund der verschlissenen Teile erheblich und es blieben „nur“ die Gänge auf dem ersten und dritten Blatt – genug um nach Bariloche zu kommen, auf Dauer aber kein Zustand. Ende Februar werden die sehnlichst erwarteten Ersatzteile dann endlich montiert.

13. – 20.12.2017 Zum Ende der Welt und zurück

Von Rio Grande geht es die gut 110 km nach Tolhuin – günstiger Wind auf den meisten Streckenabschnitten, etwas Küste, etwas mehr Hügel und nach 50 Tageskilometern endlich wieder ein Baum – anfangs nur Totholz, dann Wald – die Pampa ist vorbei, welch Wohltag für´s Auge. Unterwegs treffe ich auch endlich wieder Toureros – ein kanadisches Pärchen auf dem Weg nach Norden (ihr Tag 3 auf der Panamericana) und im famosen Casa de Ciclista an der Bäckerei „La Union“ in Tolhuin zwei Tschechen (Ü65), ebenfalls auf dem Weg Richtung Norden. Das Feriendorf Tolhuin bietet Supermarkt, Aussteigerhütten, sehr viele, charmante Cabanas und einen alternativen Campingplatz errichtet aus recycelten Bohlen sowie Paletten direkt am See Lago Fagnano. Zuvorderst aber eben „La Union“ – hunderte, tausende Radler (und Wanderer / Tramper) nächtigten hier bereits im Raum neben dem Mehllager – oder in einem zusätzlichen Raum im Untergeschoss – und genossen die Gastfreundschaft der Bäckerei, Gebäck, Brot, Schokolade. Das für die Unterkunft gesparte Geld wird sehr sehr gern an der Theke für Backwerk und Nascherei ausgegeben. Am improvisierten Abendbrottisch mit fauchenden Gaskochern treffen sich am zweiten Abend des Hanuka-Festes so zwei Physiotherapeutinnen aus den Golanhöhen, ein Schweizer (der Ushuaia schnell wieder verließ, weil´s da nur aussieht wie daheim), zwei witzige Tschechen (die Englisch mit einem Witzebuch – Tschechisch-Englisch lernen)  und ein zotteliger Deutscher, allesamt selig, eine Dusche und ein Dach über dem Kopf zu haben.

Die letzten 100 km nach Ushuaia beginne ich entlang des Sees, über den mir Wellen entgegen schlagen – heute also schön gegen den Wind. Die Ruta 3 kurvt entlang des Seeufers, mit kurzen Abstechern nach Osten, um dann in Gegenwindrichtung und wellig zurückzukommen. Nach nicht ganz der Hälfte der Tagesetappe beginnt der ca. 5 km lange Aufstieg zum Passo Garibaldi – 420 Meter über Null. Die Aussichten ins Tal belohnen die Mühe, kurze Schauer mit Graupel, Regen und Hagel wechseln sich mit Sonne und Nebel bei 5-10 Grad Lufttemperatur ab. Nach einer halben Stunde ist dann auch dieser erste echte „Berg“ kurbelnd bezwungen und es geht bergab – mit sagenhaften 14 km/h mit Treten und Gegenwind. Viel Bremsen muss ich also nicht. Im anderen Tal gibt es immer schönere Aussichten auf die umliegenden, schneebedeckten Berge, erste Wintersportresorts mit Skiliften, Snowmobilen, Huskies säumen den Straßenrand, wenn nicht gerade ein verwunschener Wald bis an den Asphalt heranreicht bis sich das Auenland öffnet. Just bei Kilometer 1.000 auf dem Tacho ergibt sich die Gelegenheit für einen wärmenden Kaffee im Wintersportparadies. Die letzten 20 km geht es dann vollends gegen den Wind – wie, als wenn mir die Ankunft am „Ende der Welt“ nicht vergönnt wird. Mit 10 km/h geht es voran, auch die abschüssige Straße sorgt nicht für wesentliche Beschleunigung bis schließlich das Eingangsportal der Stadt in Sicht kommt. Durch den Containerhafen und über manch steile Hangstraße geht es noch gut 8 Kilometer ans andere Ende der Stadt zum Hostel. Das Bett, die Wärme und der freundliche Empfang sind eine wahre Wohltat.

Ein paar Tage verbringe ich am „Tor zur Antarktis“ – nach einem kurzen Abstecher zum Nationalparkeingang treffe ich in der Stadt Andreas – der fuhr die knallharte Ruta 40 von Bariloche in knapp 3 Wochen bis hierunter – 140er Tagesschnitt durch die Pampa, respekt! Gemeinsam suchen wir nach Optionen wieder nach Norden zu gelangen – via Fähre für 125 US$ nach Puerto Williams (die noch südlichere chilenische Stadt am anderen Ufer des Beagle Kanals) und per Autofähre für weiterer 180 US$ nach Punta Arenas, per günstigeren Bus 10 h ebenso dahin oder 5 Tage gegen den Wind auf bereits bekannten Pisten und zwei Rädern zurück zum Festland. Die sicher schöne Fähre fährt erst am 23.12. wieder und ob sie fährt, erfährt man erst einen Tag zuvor. Auf eine Routendopplung haben wir beide wenig Lust und Bus Sur kann uns dieses Mal die Radmitnahme garantieren – ohne Kartonpflicht – und entsprechende Plätze reservieren. Am 19.12. geht´s also weiter. Der Versuchung, zum Schnäppchenpreis in die Antarktis zu fahren, widerstehen wir gerade so. Ab 6.500 US$ hätten wir uns für 9 Tage an Bord eines „Expeditionsschiffes“ (eher ein mittelgroßer Kreuzfahrer) begeben können. Oder für nur 12.000 auf die längere Tour über drei Wochen. Manch anderer lässt sich verlocken und bucht spontan im Reisebüro. Das Reisebudget für ein halbes (bzw. ganzes) Jahr – wooooosh, schon ist es von der Kreditkarte runter. Dann fahren wir doch lieber für knapp 50 EUR nach Punta Arenas und später deutlich länger deutlich weiter durch die Länder des Kontinents.

Bis dahin verbringen wir einen Ruhetag mit Café, Souveniershops, dem Museum zum Ende der Welt, der Suche nach geeigneten Packplanen für die Räder (schließlich im Abfall gefunden) und einem Kameraladen in der Stadt. Sonntag bringt uns die Paludine mit Motor und Segelkraft sowie nur 6 weiteren Passagieren und zwei Crewmitgliedern auf den Beagle-Kanal – Albatrosse, verschiedene Kormorane, Magellanpinguine, ein Königspinguin, Robben besuchen wir. Dabei fährt das Boot bis auf wenige Meter an die jeweiligen Inseln heran – ohne die Tierchen zu stören. Zudem gibt es tolle Sicht auf beide Ufer des Beagle-Kanals, Inseln, Kreuzfahrer. Nach 4 Stunden auf dem Wasser, heißer Schokolade und Keksen geht es per Shuttle zurück in den Ort. Am letzten Tag vor der Abfahrt geht es die obligatorischen 20 km zum Ende der Ruta 3 – letztlich ein unspektakulärer Parkplatz im Nationalpark, aber weiter südlich geht es auf Straßen nicht auf argentinischem Staatsgebiet. Der Tag ist sonnig, mit 8 Grad fast schon warm und noch im Nationalpark erklimmen wir den Cerro Guanako – auf 900 Höhenmeter geht es hinauf – binnen 4 km vom Seelevel durch Wald, sumpfige Wiesen, kleine Schneefelder und den steinigen Weg zum Grat hinauf. Die angegebenen 4 Stunden je Richtung wurden von der Nationalparkverwaltung wohl sehr vorsichtig geschätzt. Oder wir sind einfach dolle Hirsche: Nach 2,5 h sind wir oben. Der Abstieg nimmt genauso lange in Anspruch, aber zuvor wird das Rundumpanorama genossen – auf die Stadt, die Seen, die Berge, den Beagle-Kanal. Leichten (starken) Muskelkater verspüre ich noch in Punta Arenas. Die Weiterfahrt von dort verzögert sich wegen starken Regens und Wind mit bis zu 50 km/h aus der Gegenrichtung. Punta Arenas ist jedoch niedlich anzuschauen – endlich eine Stadt, die den Namen verdient. Unser Zimmer liegt über einem Tangoclub mit Livemusik, man findet alle Geschäfte im Ort, imponierende Gebäude aus der Kolonialzeit, Apfelstrudel mit Sahne und heiße Schokolade. Zudem auch Museen, Nachbauten alter Schiffe und einen wohl hübschen Friedhof – all dies sparen wir uns aber und ruhen uns aus. Am 21.12. fahren wir weiter nach Norden. Weihnachten sollten wir am Torres del Paine Nationalpark bzw. Puerto Natales sein (250 km) – ggfs. im Zelt. Die kommenden Tage erwartet uns also Wind aus der Hauptrichtung – West/Nordwest. Wie oft, schön von vorn. Bis Ende Januar hoffen wir auf der Carretera Austral nach etwa 1.800 km San Carlos Bariloche zu erreichen, von dort geht Andreas´ Flieger in die Heimat.

08. – 12.12.2017 Wind, Wellen, Weideland

8.12. – 12.12. Rio Gallegos – Cerro Sombrero – Rio Grande (Bilder folgen bei Gelegenheit)

Aus der Abfahrt am 7. Dezember wurde nichts – nach Frühstück und Tee kam ich mit Tempo 8 – 10 km/h genau 5 km weit – bis an die Grenze des Industriegebiets am Ende der Stadt, bevor es mich förmlich vom Rad blies. Starker Seitenwind machte ein (sicheres) Fahren unmöglich, noch dazu sollte sich die Route später genau in den Wind (weiter nach Westen) drehen, dazu Schauer – keine Chance 120 KM bis zur Fähre zu gelangen. Trampen funktioniert heute auch nicht, ohne Windschutz zu warten ist zudem extrem unangenehm – im Wind reißt bzw. bricht der Ständer von Fritz – Gewicht, Wind und Alter (seit Neuseeland im Einsatz) machen auch dem stärksten Ständer den Gar aus. Wenn´s so bleibt, muss Ushuaia von der Zielliste genommen werden. Gegen Mittag bin ich zurück in der Innenstadt, wärme mich in einer Tankstelle auf und suche ein Hotel, um am nächsten Morgen wirklich um 8 Uhr auf´s Rad steigen zu können. Die freundliche Einladung eines jungen Motorradfahrers bei ihm unterzukommen schlage ich dankend aus, brauche heute mal Ruhe. Fritz übernachtet sicher in der Waschküche des Hotels. Schade: Die Dusche gibt nur kaltes Wasser ab.

Am nächsten Tag geht’s nach kleinem Frühstück im Hotel wieder auf´s Rad. Punkt 8 geht’s los mit Umweg über einen Bäcker – Sandwiches, Pan Dulce als kleines Mitbringsel für die nächsten Gastgeber (leider schon recht trocken, wie sich später herausstellt, aber schön anzusehen). Ein alter Hippie freut sich über mein Rad und macht gleich Fotos vom voll beladenen Fritz – vier Radtaschen, der Rucksack mit Zelt, Schlafsack, Isomatte und obendrauf neun Liter Wasser und Limo – sieht man hier vielleicht nicht so oft. Wer sich fragt, wie viel Masse das sein mag: die vier Taschen (Küche & Bad, Werkstatt/Ersatzteile & sonstige Ausrüstung, Klamotten (von kurzer Hose bis zum warmen Handschuh), Büro & Technik sowie Zelt, Wanderschuhe etc) wiegen ungefähr 35-40 Kilogramm, hinzu kommen Wasser (9 Liter) und Verpflegung – circa 3 Kilo, Fritz wiegt um die 18 Kilo. Zusammen mit mir rollen also um die 140 Kilo Systemgewicht über die Pisten. Weniger wäre schön, ist momentan aber kaum umzusetzen.

Die verschobene Abfahrt hat sich gelohnt – mit Wind aus Nordwest geht es gut voran, unterbrochen nur von einer Polizeikontrolle und den notwendigen stündlichen Pausen. Nach 65 Kilometern ist die Grenze nach Chile erreicht – Einwanderungsbehörde, Zoll und Landwirtschaftsbehörde checken die Papiere und auch (recht oberflächlich) das Gepäck. Frischobst, Wurst etc. hatte ich vorher vertilgt, meine Nüsse kann ich zum Glück behalten, die Chiasamen werden auch nicht beanstandet bzw. übersehen. An der Grenze gibt es noch ein schönes Mittag und kurzen Schnack mit chinesischen Motorradfahrern, die gerade ihre Panamericana-Tour beenden. Nach einer Stunde geht’s weiter. Hinter der Grenze Rückenwind, Abfahrten – so kann´s gern weitergehen!

Später ziehen jedoch Wolken auf, der Wind kommt stärker von der Seite und es schauert – die Regengarnitur kommt erstmals zum Einsatz. Über sanfte Hügel und die üblich karge Landschaft geht es bis zum Abzweig des Fähranlegers – wider Erwarten gibt es hier 20 km vor der Fähre doch noch eine kleine Siedlung mit ausgeschriebenem Hotel, welches ich heute aber nicht in Anspruch nehmen muss. Von da an ist es ein Genuss: Reiner Rückenwind, 16 km mit 30 km/h und einigen schönen Abfahrten. Ein VW-Bulli aus Pirna überholt mich – es ist immer wieder witzig, am anderen Ende der Welt europäische Kennzeichen zu sehen.

15.45 Uhr erreiche ich den Fähranleger von Punta Delgada – mit Bistro/Restaurant, Hosteria, kleinem Supermarkt und Klos mit Duschen wunderbar ausgebaut. Nach einem Kaffee mit deutschen Motorradfahrern setze ich über – 20 Minuten über die Magelanstraße, für Fußgänger und Radfahrer kostenfrei.

Die gegenüberliegende Seite(Bahia Azul) ist nicht ganz so gut ausgebaut, aber ich darf vor der Info und der kleinen Polizeistation zelten und den warmen Warteraum mit TV und altem PC bis 21 Uhr nutzen, mich sogar in der Damendusche waschen – die andere ist geschlossen. Auch hier gibt es wieder nur kaltes Wasser, das nach 5 Minuten ganz ausbleibt, aber besser als nichts. Die nette Kollegin der Info gibt mir für den Abend sogar noch den WIFI-Code des Verwaltungsnetzwerks, ein wunderbarer und sicherer Platz zum Campen, vor allem windgeschützt – der Wind frischt auf – 40 km/h laut App, für morgen ist Gleiches vorausgesagt mit Sturmböen bis 85 km/h, kann ja heiter werden!

Am nächsten Morgen (9. Dezember) packe ich früh das Zelt zusammen, frühstücke im Warteraum und starte gegen 9 Uhr – noch vor der ersten Fähre in Richtung Cerro Sombrero – bei KM 53 der Ruta 257 soll die Estancia von Valentina, meiner nächsten Couchsurferin sein – ein vermeintlich kurzer Tag mit 43 km, jedoch auch zunehmendem Seitenwind und Schauern. An den Zäunen entlang der Straße ist fast jeder Kilometer angezeichnet, teils sogar alle hundert Meter. Die verbleibene Distanz hat man also ständig vor Augen. Mittags erreiche ich Kilometer 52, trinke Kaffee im einzigen Restaurant – 5 Kilometer vor dem durch die Gasförderung geprägtem Dorf Cerro Sombrero. Valentina kehrt erst nachmittags zurück, also fahre ich erst mal in den Ort – eine Siedlung aus scheinbar sozialistischer Prägung: Ein Kino (bei nichtmal 5.000 Einwohnern, eine Begegnungsstätte/Club Social, kleiner Markt, ein Flugplatz, Werkstätten, Arbeitersiedlungen, Sportplatz und Gemeinschaftsgarten, Tankstelle, zwei Hosterias, Verwaltung, ein Krankenhaus und die neu erbaute Regionalschule mit Internat – alles im Betonbaustil der siebziger Jahre – am heutigen Samstag sehe ich genau sieben Menschen auf den Straßen. Auch die (heute jedoch geschlossene) Touristinfo mit luxuriösem öffentlichen WC ist brandneu. Im Vorraum dessen kann ich mich aufwärmen und habe sogar WIFI zum Zeitvertreib. Auch heute habe ich Glück: Valentina schreibt mir, sie wäre ohnehin gerade an der Klinik und könnte mich mitnehmen – Fritz kommt also mal wieder auf die Ladefläche eines Pickups und ein Missverständnis klärt sich auf: Die Estancia ist zwar am Kilometer 53, allerdings der geschotterten Ruta 259 (nicht 257) – und damit 60 Kilometer weiter in der Prärie, pardon, Pampa. Welch glückliche Fügung für mich! Die eigentliche Schaffarm ist in der Nähe des Punta Cataluna mit 6000 Schafen. Dort holen wir Umberto, Valentinas Sohn und die Hütehunde ab. Nach einem Braten zum frühen Abend geht’s dann eine weitere Stunde über Schotterstraßen nach Hause – die Distanzen sind hier einfach andere. Am Abend gibt’s dann „richtig“ Essen – Lammbraten ab 23:30 Uhr. Bis 2 Uhr halte ich durch, bevor ich mich auf meine gemütliche Couch am Gaskamin zurückziehe. Der Rest der (erwachsenen) Familie sitzt noch bis 5 bei Mate und „Germania“-Import-Bier aus Österreich in der Küche zusammen. Sonntag ist Ruhetag, Zeit, die Taschen zu sortieren, am Nachmittag geht’s dann nochmal nach Cerro Sombrero: Der Sohn hat heute Geburtstag und im Gemeindezentrum gibt’s einen schönen Kindergeburtstag mit Pinata und jeder Menge Essen. Valentina kocht und bäckt fabelhaft und ich kann jede Menge Energie tanken – nachdem ich die ungefähr 4.000 Kalorien pro (langem) Radtag erwähnte, bekomme ich ständig Essen gereicht. Gefällt mir! Im Tausch gebe ich Lungenkraft für die Geburtstagsluftballons und wir tauschen ein bisschen Musik aus.

Am Morgen herzlicher Abschied von der Estancia, natürlich nicht ohne selbstgebackene Brötchen von Valentina als Proviant. 60 km Schotter bis zur Grenze. Allerdings ist dieser lockerer als gedacht, der Weg kurviger und welliger als vermutet – höchste Konzentration beim Fahren ist notwendig. Wahrscheinlich hätte ich den Tag so an der Grenze beendet, wenn nicht der zwei Mal pro Woche verkehrende Minibus vorbeigekommen wäre und anbot, mich mitzunehmen. Mit mir als einzigem Fahrgast geht es nun für drei Euro binnen einer Stunde (statt 5-6) zur chilenischen Grenze. Wunderbar. Von hier aus sind es noch 11 km bis zum argentinischen Grenzposten San Sebastian und ab dort nochmal gut 80 asphaltierte Kilometer bis Rio Grande. Mittag an der Grenze und los geht’s – heute wieder mit astreinem Rückenwind (zumindest meistens) auf der frisch asphaltierten Ruta 3. Gegen 15.30 Uhr erreiche ich die Industriestadt Rio Grande – mit zunehmendem Feierabendverkehr , Knast und jeder Menge militärischer Devotionalien inkl. Pappkameraden und Wandmalereien am Straßenrand, die an den Falklandkrieg erinnern. Am Abend beziehe ich die gemütliche Couch in Giselas zweiter Wohnung, stocke Vorräte auf, koche, schlafe. Morgen wird Wäsche gewaschen, das viel gerühmte patagonische Eis gegessen und weitere Gastgeber entlang der Route angeschrieben. Rund 250 km bis Feuerland, 110 km bis zur tollen Bäckerei mit Casa Ciclista in Tolhuin – das Ende der Welt rückt in greifbare Nähe. Weiter soll´s am 13. Dezember gehen. Ushuaia wird also noch vor Weihnachten erreicht (und wahrscheinlich auch schon wieder verlassen).