Von Rio Grande geht es die gut 110 km nach Tolhuin – günstiger Wind auf den meisten Streckenabschnitten, etwas Küste, etwas mehr Hügel und nach 50 Tageskilometern endlich wieder ein Baum – anfangs nur Totholz, dann Wald – die Pampa ist vorbei, welch Wohltag für´s Auge. Unterwegs treffe ich auch endlich wieder Toureros – ein kanadisches Pärchen auf dem Weg nach Norden (ihr Tag 3 auf der Panamericana) und im famosen Casa de Ciclista an der Bäckerei „La Union“ in Tolhuin zwei Tschechen (Ü65), ebenfalls auf dem Weg Richtung Norden. Das Feriendorf Tolhuin bietet Supermarkt, Aussteigerhütten, sehr viele, charmante Cabanas und einen alternativen Campingplatz errichtet aus recycelten Bohlen sowie Paletten direkt am See Lago Fagnano. Zuvorderst aber eben „La Union“ – hunderte, tausende Radler (und Wanderer / Tramper) nächtigten hier bereits im Raum neben dem Mehllager – oder in einem zusätzlichen Raum im Untergeschoss – und genossen die Gastfreundschaft der Bäckerei, Gebäck, Brot, Schokolade. Das für die Unterkunft gesparte Geld wird sehr sehr gern an der Theke für Backwerk und Nascherei ausgegeben. Am improvisierten Abendbrottisch mit fauchenden Gaskochern treffen sich am zweiten Abend des Hanuka-Festes so zwei Physiotherapeutinnen aus den Golanhöhen, ein Schweizer (der Ushuaia schnell wieder verließ, weil´s da nur aussieht wie daheim), zwei witzige Tschechen (die Englisch mit einem Witzebuch – Tschechisch-Englisch lernen) und ein zotteliger Deutscher, allesamt selig, eine Dusche und ein Dach über dem Kopf zu haben.
Die letzten 100 km nach Ushuaia beginne ich entlang des Sees, über den mir Wellen entgegen schlagen – heute also schön gegen den Wind. Die Ruta 3 kurvt entlang des Seeufers, mit kurzen Abstechern nach Osten, um dann in Gegenwindrichtung und wellig zurückzukommen. Nach nicht ganz der Hälfte der Tagesetappe beginnt der ca. 5 km lange Aufstieg zum Passo Garibaldi – 420 Meter über Null. Die Aussichten ins Tal belohnen die Mühe, kurze Schauer mit Graupel, Regen und Hagel wechseln sich mit Sonne und Nebel bei 5-10 Grad Lufttemperatur ab. Nach einer halben Stunde ist dann auch dieser erste echte „Berg“ kurbelnd bezwungen und es geht bergab – mit sagenhaften 14 km/h mit Treten und Gegenwind. Viel Bremsen muss ich also nicht. Im anderen Tal gibt es immer schönere Aussichten auf die umliegenden, schneebedeckten Berge, erste Wintersportresorts mit Skiliften, Snowmobilen, Huskies säumen den Straßenrand, wenn nicht gerade ein verwunschener Wald bis an den Asphalt heranreicht bis sich das Auenland öffnet. Just bei Kilometer 1.000 auf dem Tacho ergibt sich die Gelegenheit für einen wärmenden Kaffee im Wintersportparadies. Die letzten 20 km geht es dann vollends gegen den Wind – wie, als wenn mir die Ankunft am „Ende der Welt“ nicht vergönnt wird. Mit 10 km/h geht es voran, auch die abschüssige Straße sorgt nicht für wesentliche Beschleunigung bis schließlich das Eingangsportal der Stadt in Sicht kommt. Durch den Containerhafen und über manch steile Hangstraße geht es noch gut 8 Kilometer ans andere Ende der Stadt zum Hostel. Das Bett, die Wärme und der freundliche Empfang sind eine wahre Wohltat.
Ein paar Tage verbringe ich am „Tor zur Antarktis“ – nach einem kurzen Abstecher zum Nationalparkeingang treffe ich in der Stadt Andreas – der fuhr die knallharte Ruta 40 von Bariloche in knapp 3 Wochen bis hierunter – 140er Tagesschnitt durch die Pampa, respekt! Gemeinsam suchen wir nach Optionen wieder nach Norden zu gelangen – via Fähre für 125 US$ nach Puerto Williams (die noch südlichere chilenische Stadt am anderen Ufer des Beagle Kanals) und per Autofähre für weiterer 180 US$ nach Punta Arenas, per günstigeren Bus 10 h ebenso dahin oder 5 Tage gegen den Wind auf bereits bekannten Pisten und zwei Rädern zurück zum Festland. Die sicher schöne Fähre fährt erst am 23.12. wieder und ob sie fährt, erfährt man erst einen Tag zuvor. Auf eine Routendopplung haben wir beide wenig Lust und Bus Sur kann uns dieses Mal die Radmitnahme garantieren – ohne Kartonpflicht – und entsprechende Plätze reservieren. Am 19.12. geht´s also weiter. Der Versuchung, zum Schnäppchenpreis in die Antarktis zu fahren, widerstehen wir gerade so. Ab 6.500 US$ hätten wir uns für 9 Tage an Bord eines „Expeditionsschiffes“ (eher ein mittelgroßer Kreuzfahrer) begeben können. Oder für nur 12.000 auf die längere Tour über drei Wochen. Manch anderer lässt sich verlocken und bucht spontan im Reisebüro. Das Reisebudget für ein halbes (bzw. ganzes) Jahr – wooooosh, schon ist es von der Kreditkarte runter. Dann fahren wir doch lieber für knapp 50 EUR nach Punta Arenas und später deutlich länger deutlich weiter durch die Länder des Kontinents.
Bis dahin verbringen wir einen Ruhetag mit Café, Souveniershops, dem Museum zum Ende der Welt, der Suche nach geeigneten Packplanen für die Räder (schließlich im Abfall gefunden) und einem Kameraladen in der Stadt. Sonntag bringt uns die Paludine mit Motor und Segelkraft sowie nur 6 weiteren Passagieren und zwei Crewmitgliedern auf den Beagle-Kanal – Albatrosse, verschiedene Kormorane, Magellanpinguine, ein Königspinguin, Robben besuchen wir. Dabei fährt das Boot bis auf wenige Meter an die jeweiligen Inseln heran – ohne die Tierchen zu stören. Zudem gibt es tolle Sicht auf beide Ufer des Beagle-Kanals, Inseln, Kreuzfahrer. Nach 4 Stunden auf dem Wasser, heißer Schokolade und Keksen geht es per Shuttle zurück in den Ort. Am letzten Tag vor der Abfahrt geht es die obligatorischen 20 km zum Ende der Ruta 3 – letztlich ein unspektakulärer Parkplatz im Nationalpark, aber weiter südlich geht es auf Straßen nicht auf argentinischem Staatsgebiet. Der Tag ist sonnig, mit 8 Grad fast schon warm und noch im Nationalpark erklimmen wir den Cerro Guanako – auf 900 Höhenmeter geht es hinauf – binnen 4 km vom Seelevel durch Wald, sumpfige Wiesen, kleine Schneefelder und den steinigen Weg zum Grat hinauf. Die angegebenen 4 Stunden je Richtung wurden von der Nationalparkverwaltung wohl sehr vorsichtig geschätzt. Oder wir sind einfach dolle Hirsche: Nach 2,5 h sind wir oben. Der Abstieg nimmt genauso lange in Anspruch, aber zuvor wird das Rundumpanorama genossen – auf die Stadt, die Seen, die Berge, den Beagle-Kanal. Leichten (starken) Muskelkater verspüre ich noch in Punta Arenas. Die Weiterfahrt von dort verzögert sich wegen starken Regens und Wind mit bis zu 50 km/h aus der Gegenrichtung. Punta Arenas ist jedoch niedlich anzuschauen – endlich eine Stadt, die den Namen verdient. Unser Zimmer liegt über einem Tangoclub mit Livemusik, man findet alle Geschäfte im Ort, imponierende Gebäude aus der Kolonialzeit, Apfelstrudel mit Sahne und heiße Schokolade. Zudem auch Museen, Nachbauten alter Schiffe und einen wohl hübschen Friedhof – all dies sparen wir uns aber und ruhen uns aus. Am 21.12. fahren wir weiter nach Norden. Weihnachten sollten wir am Torres del Paine Nationalpark bzw. Puerto Natales sein (250 km) – ggfs. im Zelt. Die kommenden Tage erwartet uns also Wind aus der Hauptrichtung – West/Nordwest. Wie oft, schön von vorn. Bis Ende Januar hoffen wir auf der Carretera Austral nach etwa 1.800 km San Carlos Bariloche zu erreichen, von dort geht Andreas´ Flieger in die Heimat.