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03. – 06.12.2017 Fluch und Segen

Sonntagmorgen ging es mit starkem Wind aus der Stadt – Helmkappe für die Ohren, Jacke, Bein- und Armlinge sowie das zweite Tuch wurden dringend gebraucht, Handschuhe sowieso.

125 km bis Comandante Luis Piedra Buena – der letzten Stadt für eine ganze Weile.

8:30 Uhr geht’s los. Der Rückenwind hilft – 20 km/h sind kein Problem, auf langen Geraden in Windrichtung gern auch 30 km/h, Abfahrten bieten dann immerhin 50 – 60 km/h – schneller muss es auch nicht sein. Sobald die Straße jedoch leicht abbiegt, hat man den vollen Wind von der Seite. 15 – 20 km/h sind dann zwar noch möglich, aber angenehm ist es nicht. 56 km vor dem Ziel dreht der Wind dann vollends auf Seitwind. Hier holt mich während einer Pause aus dem Nichts ein Rennradfahrer ein, mit nur einer Trinkflasche ausgestattet. Wo kommt der auf einmal her? Wo will der hin? Scheinbar auch nach Puedrobuena und zurück – voll gegen den Wind! 25 km vor dem Ziel kommt er mir am Berg entgegen und bittet um Wasser. Ich habe genug und gebe gern ab, aber der arme Kerl hat noch einen heftigen Ritt vor sich!

Unterwegs werde ich viel angehupt und freundlich gegrüßt – nur wenige Idioten hupen mich tatsächlich von der Straße, weichen nicht aus, bremsen kaum oder gar nicht ab, obwohl Platz und freie Sicht ist. Den Vogel schießen aber zwei Mädels ab: Fahren langsam mit Warnblink hinter mir her – überholen nicht, trotz Gewinke und Platz. Also, anhalten – vielleicht wollen sie mir ja Wasser geben? Aber nein, sie gucken und tuckern weiter, beschleunigen dann wieder, während ich erstmal wieder Tempo aufnehmen muss.

In Piedrabuena dient die Tankstelle wieder als Infopunkt mit WIFI und Tee. Ein paar kleine Jungs beäugen neugierig den voll beladenen Fritz, ein älterer Herr gratuliert mir zur Etappe… Unterkünfte scheinen jedoch rar gesät. Immerhin soll es günstiges Camping, Cabanas (Hütten) und eine Hosteria auf der Insula Pavon inmitten des Flußes geben. Klingt nett, sieht auch schön aus, aber dieses Wochenende ist hier jedes Bett belegt. Ich wähle das Zelt, 200$ für eine Nacht (mit Tisch und Grill sonst 400) und Warmwasser nur bis 18 Uhr – also noch eine Stunde. Nach dem Zeltaufbau sollte es immernoch 30 min lang Warmwasser geben, aber denkste: Aqua fria ist das einzige, dass aus der Dusche kommt. Egal, Hauptsache duschen. Die Anlage ist schön gepflegt, Heißwasser für Thermoskannen und den obligatorischen Maté kann man direkt am Trinkwasserbrunnen zapfen. Am Ufer werden von einer Familie zwei Schafshälften über offenem Feuer gegrillt – DAS ist also echtes Asado. Irgendwoher kommt laute Musik, aber der Tag war lang genug, ich schlafe schnell und tief.

  1. Dezember – 100 km nach Lemarchand – Gegenwind

Am Morgen geht’s los – Gegenwind aus Süd/Südost ist angesagt. 100 km bis Lemarchand – das ist genau genommen eine Hosteria mit Benzin, mehr nicht. Die wohl einzige Unterkunft vor Rio Gallegos und Guer Aike (abgesehen von weiter entfernten Estancias und einer an der Ruta 3, 60 km hinter Lemarchand.

Am Abzweig nach Puerto Santa Cruz kann ich nochmal die Vorräte mit Pastetchen und Kuchen auffüllen – Gold wert, wie sich später rausstellt. 5,5 Liter Wasser und Limo sind am Rad, das sollte reichen. In Lemarchand kann ich dann auffüllen und vielleicht einen Ruhetag einlegen – soweit der Plan. Die ersten 15 km habe ich wider Erwarten seitlichen Rückenwind und reise mit angenehmen 20 km/h, dann dreht jedoch die Straße – von hier an gibt es nur noch Gegenwind – frontal oder schräg von rechts mit durchschnittlich 8-16 m/ Sekunde, am Berg genauso wie in der Ebene.

So geht es mit 6-8 km/h bergauf in den Nationalpark Monte Leon, und mit 10-12 km/h durch unendliche Ebenen. Auf Abfahrten mit 3 % Gefälle erreiche ich mit Treten 18 km/h. Nach dem Mittag wird der Wind noch stärker – Spaß macht das nicht. Statt stündlich muss ich halbstündlich halten um Energie zu mir zu nehmen. 16 Uhr – noch 30 km. Zum Glück entscheide ich mich dagegen, diese Etappe zu teilen und fahre weiter. Sonnenuntergang ist circa 21.30 Uhr, also genug Zeit. Wenn die Kräfte reichen.

19 Uhr – die letzten Kilometer waren besonders hart, aber endlich bin ich auf dem letzten Kilometer. Die Oberschenkel sind fest und schmerzen. Ein rotes Haus kommt in Sicht – aber merkwürdigerweise nur ein Autotransporter davor, der schon bald weiterfährt. Als ich näher komme sehe ich: Das Ding ist zu, geschlossen, verrammelt, gar eingezäunt! Sch… In den Flaschen habe ich noch einen dreiviertel Liter Wasser. Essen reichlich. Was nun? Hier gibt es keine windgeschützte Campingmöglichkeit. Weiterfahren und Suchen? Oder hier bleiben, wo ab und an Trucker Pause machen? Der Versuch zu Trampen scheitert – um die Zeit ist kaum jemand in meine Richtung unterwegs, nur zwei Pick-Ups fahren an mir vorbei, dazu Trucks ohne Ladefläche (die offiziell ohnehin niemanden mitnehmen dürfen) und PKW. Die ausgewiesenen Farms liegen mindestens 30 km abseits der Straße, über Schotterwege unerreichbar. Auf dem Parkplatz habe ich dann Glück: Ich frage nach Wasser und bekomme: 1 Liter Wasser, 1 Liter O-Saft, Oreo-Kekse und von einem anderen Fahrer nochmal 1,5 Liter Wasser – das würde für die Nacht reichen, um ggfs. morgen zu trampen oder die 60 km zur nächsten bekannten Estancia zu kommen. Noch wertvoller aber der Hinweis auf Ototelo Aike – 10 km weiter südlich.

Dort gäbe es große Gebäude. Auf dem Navi sind dort zumindest Wendekreise eingezeichnet. Es ist 20 Uhr – ich entscheide mich nach Ototelo zu fahren um dort nach Campingmöglichkeiten Ausschau zu halten. 20.45 Uhr kommen Häuser in Sicht: Wirtschaftsgebäude, ein Wohnhaus und sogar eine Abfahrt dorthin. Das erste gepflegte Wohnhaus mit Garten ist leer – aber Fahrzeuge stehen rum, der Generator läuft, ein Hund ist vor Ort. Ein Stück bergauf stehen weitere Wirtschaftsgebäude – auch hier ein Pickup, aber niemand zu sehen. Ich klopfe an verschlossene Türen, eine jedoch ist offen: Dort steht Brot und Aufstrich (der wie Götterspeise aussieht) auf dem Tisch – hier muss also jemand sein. Ich suche weiter und finde endlich den Farmarbeiter Eduardo: Ich erkläre meine Not und frage, ob ich campen dürfte. Stattdessen zeigt er mir eine Gemeinschaftsunterkunft (scheinbar für die Helfer zur Schafschur) mit Holzpritschen, warmer Dusche, großer Küche… er heizt den Gasofen an und verschwindet um kurz darauf mit einer Matratze zurückzukommen. Ein Engel. Ich darf bleiben. Es gibt nach wie vor keinen Mobilfunk, aber Strom. Und von nebenan holt Eduardo auch noch hausgebackenes Brot. Ich kann mein Glück kaum fassen.

Total fertig aber glücklich und wahnsinnig dankbar nehme ich die Dusche und Koche Unmengen Reis mit Erbsensuppe. Dazu gibt es Brot, Salami, Leberwurst und einen schönen Sonnenuntergang über dem Tal. Für die Beine gibt es Voltaren und eine kleine Massage. Morgen früh entscheide ich, ob bzw. wie weit ich weiter fahre.

Dienstag, 5. Dezember

Um 6.30 Uhr weckt mich die Sonne. Option 1: 60 km bis zur nächsten Estancia fahren. Option 2: 100 km bis Guer Aike. Option 3: 130 km bis Rio Gallegos – Optionen 2 und 3 sind aber nur mit starkem Rückenwind möglich und nach der gestrigen Etappe eigentlich nicht machbar.

Im Tal scheint kaum Wind zu sein – Bäume zum Prüfen gibt es nicht, aber es rüttelt auch nicht am Haus. 8.30 Uhr fahre ich vom Hof und komme erst auf eine wunderbare Abfahrt und dann in den Genuss von Rückenwind. Geradem, starkem Rückenwind. Es geht gut voran und Guer Aike ist gegen 15 Uhr erreicht. Hier könnte ich campen, am Campingplatz soll es auch einen Kiosk geben. Allerdings fühle ich mich trotz schrägem Gegenwind und steilen Anstiegen auf den letzten 10 km überraschend fit UND nach Rio Gallegos geht es laut Karte gerade aus nach Osten – 30 km in Windrichtung. Nach Abstecher auf den Aussichtspunkt fällt die Entscheidung: Es geht weiter, ich nutze den Wind: Auf der je Richtung zweispurig ausgebauten Autobahn mit Seitenstreifen geht es mit über 30 km/h, teils 40 km/h wunderbar voran – nach 50 Minuten bin ich in der Hafenstadt und erreichen Cecilias Haus. Den Kontakt hatte mir Francesco aus Comodoro vermittelt. 100 Meter vom Wasser entfernt darf ich hier meinen Ruhetag verbringen und werde gut gefüttert. Noch knapp 600 km bis zum „Fin del Mundo“

 

 

Morgen, am 7. Dezember, geht’s weiter. Erst zum Lago Azul – einen wassergefüllten Krater, 60 km südlich von Rio Gallegos, dann zur Chilenischen Grenze und Fähre nach Feuerland. Zuvor müssen noch alle Früchte und Milchprodukte aufgebraucht werden, an der Grenze werden diese sonst konfisziert. Bis San Sebastian sind es 280 km – allerdings teilweise auf Schotter, gut möglich, dass ich 3-4 Tage bis dorthin benötige. Nächste Städte in mehreren Etappen sind dann Rio Grande (100 km weiter), Tolhuin (weitere 130 km) und Ushuaia (letzte 110 km).

 

27.11. – 1.12.2017 Retiro zum Abgewöhnen – erste Radtage zum Eingewöhnen

Montag, 27. November

Heute sollte mich der Bus mitsamt Fritz nach Comodoro Rivadavia bringen – das Fahrrad voraus zu senden kommt nach Erfahrungsberichten anderer Radfahrer nicht in Frage. Ich will Fritz unbedingt im gleichen Bus haben. Nach Aussage der Mitarbeiter am Infoschalter von Condor Estrella am Busbahnhof Retiro auch kein Problem, solange das Rad in einem Karton ist. Die 15 kg Freigepäck, die auf dem Ticket genannt werden, sehe ich beim Anblick anderer Busreisender als symbolisch an. Mit Hilfe July finde ich einen Radladen, der einen entsprechenden Karton hat – Vorderrad, Hinterrad und Lowrider müssen ausgebaut werden, Pedale ab, Lenker quer, Sattel runter – soweit kein Problem. Mit „Fragil“-Aufklebern und meinen Daten versehen scheint der Transport sicher. Zum Bahnhof „Retiro“ geht’s per Radiotaxi – natürlich mit Aufschlag für das Mehrgepäck, aber dafür kommen wir gut an. July hilft mir noch tragen, bevor sie zu Terminen muss. Darum sind wir auch schon 4 h vor Abfahrt am Bahnhof. Der Bus kommt 12.40 Uhr, in zwei Gängen bringe ich Radkarton, Radtaschen und Rucksack zum Bus – neben mir ein Asiate mit drei großen Taschen… beide werden wir jedoch angewiesen, dass unser Gepäck zuletzt eingepackt werden würde. Die 50 Pesos für den Packer habe ich schon bereit, nur leider wird der Bus voll – immer weniger Raum bleibt im schlecht gepackten Gepäckabteil – Riesenrucksäcke und Rollkoffer oder auch zwei pro Person landen dort… Und dann: „NO“ – mein Gepäck wird nicht mitgenommen, das des Asiaten auch nicht. Schöner Sch… es folgen Diskussionen mit dem Busfahrer, aber es ist definitiv kein Platz. Während die Begleitung des Chinesen auf die Taschen schaut, lasse ich mein Ticket (kostenfrei) umschreiben – von Condor Estrella auf Andesmar – deren Bus fährt um 19 Uhr. Am Schalter wird mir versichert, dass auch der Karton mitkäme, ich solle diesen im Untergeschoss anmelden… Zur Sicherheit bitte ich July nochmal zu kommen. Denn im Erdgeschoss nimmt man mir den Radkarton nicht ab. 16 Uhr kommt July – und kann klären: Es kommt alles mit, wenn ich extra 700$ an den Packer zahle (ein Vielfaches des Üblichen – die meisten Fahrgäste reichen 10-20 $ je Tasche) – offiziell dürfe das Rad so nicht mitgenommen werden, aber wo 700$ sind, ist auch ein Weg. Gesagt getan, die Wartezeit wird mit Pizza verkürzt. Angeblich sei die Polizei mit manchem Gauner am Bahnhof verbunden, die Taschen werden also nicht aus dem Blick gelassen.

18:45 Uhr der Bus kommt. Und es geht gut. Alles wird verstaut, der Radkarton liegt gut mit nur wenigen Taschen darauf, die Schaltung etc. habe ich ohnehin extra gepolstert. Auch das chinesische Pärchen ist an Bord – ihre Taschen checkten sie vorher ein, mit je 32 kg und zusätzlichem Gepäck – da sind meine 40 kg Gepäck und Fritz mit ~ 18 kg doch ein Klacks!

Einziger Wermutstropfen: Kein Essen & Trinken im Bus – am ersten Stop decke ich mich daher nochmal mit Sandwiches ein und auf geht’s zur 25 h Fahrt. Beim Blick aus dem Fenster bin ich froh, diese Strecke nicht mit Rad gefahren zu sein – so bleiben mir 2-3 Wochen öde Pampa erspart, in Patagonien habe ich noch genug davon. Sträucher, einzelne Grasbüchel und Steinwüsten ziehen am Fenster vorbei. Jeder Stop wird genutzt um die Beine zu vertreten, im Fernsehen laufen Romantic-Comedys und Actionfilme mit spanischem Untertitel, die Klimaanlage ist wie immer gnadenlos kalt eingestellt.

Am nächsten Tag kommen wir um 20 Uhr in Comodoro Rivadavia an – eine Industriegroßstadt geprägt durch Öl, Gas und ein wenig Windenergie, im März noch von Sturm, Flut und Schlammlawinen heimgesucht – hier und da sieht man dies auch noch. Während der Wartezeit im Busbahnhof konnte ich meinen Couchsurfing-Host wechseln – statt das Rad zu montieren und noch 16 km nach Rada Tilly zu fahren, bleibe ich in der Stadt. Francesco holt mich mit seinem Jeep ab, das Rad kommt auf´s Dach, die Taschen in den Kofferraum – nicht der erste (und nicht der letzte) erstaunte Blick bzgl. des Umfangs meiner Ausrüstung. Doof nur: Im Kofferraum ist irgendwas über eine meiner Radtaschen gelaufen – leider kein Kaffee, wie erst vermutet, sondern irgendetwas ätzendes, dass die Isolierschicht beschädigt und sich nicht abwaschen lässt. In den Folgetagen wird die Stärke des Schadens deutlich. Werde die Tasche wohl spätestens nach Feuerland ersetzen – bevor es in die nassen Gegenden geht.

Francescos Familie empfängt mich, ihren ersten Couchsurfer, sehr herzlich – ich bekomme das Zimmer des „kleinen“, Classic-Rock-liebenden Bruders – Sebastian, der in der Zeit zu seiner Freundin zieht. Noch während ich das Rad montiere, werde ich eingeladen, eine Nacht länger zu bleiben, so könnte man noch die Stadt und Rada Tilly am nächsten Tag erkunden. Ich nehme dankend an. Vom Schrauben geht’s direkt an den Esstisch: Empanadas und sauerbratenähnliches Fleisch in Fischsauce – sehr lecker, sehr viel, sehr gut! Francesco, Max (der ältere Bruder, der auch Deutsch spricht), Sebastian, die jeweiligen Freundinnen, der Vati und Mutti Cecilia versorgen mich mit Energie, so gut es geht unterhalten wir uns über die geplante Tour und Musik – die Jungs schwärmen von „Accept“ einer deutschen Rockband, kennt die jemand? Ich bislang nicht. Am Wochenende kommt dann auch noch Apocalyptica nach Comodoro – das werde ich leider verpassen, schade.

Francesco hat gerade zwei Wochen frei, da er im Schichtbetrieb bei der staatlichen Ölfirma an einer Fracking-Station arbeitet – zwei Wochen Arbeit, zwei Wochen frei. Wunderbar. Wir laden die Räder auf den Jeep und fahren nach Rada Tilly – das Miami Beach Argentiniens. Strandvillen, breiter Strand mit Promenade, eine schöne Bucht und der kalte Atlantik, schön hier. Mit den Rädern geht’s den Strand entlang und letztlich den Berg hinauf zum Punto Marquez – eine Naturschutzstation im Reservat mit Ausblick auf die Seelöwenkolonie am Fuße der Klippen und die weiten des Atlantik. Irgendwo da draußen ziehen auch zwei Wale Richtung Peninsula Valdez, sind jedoch kaum auszumachen. Ein toller Ausflug!

Zurück in der Stadt werden Vorräte gebunkert. „Benzina“ für meinen Kocher gibt es leider auch hier nicht – es wird also erstmal mit Gas und NAFTA (bleifreies Benzin von der Tankstelle) gekocht. Am Nachmittag besichtige ich das Petrol-Museum von YPF, der staatlichen Ölfirma – gut gemacht und natürlich wird die Firmengeschichte ausführlich dargestellt. Im Ort scheint YPF zudem viel zu sponsern, unter anderem den Sportclub.

In der gut sortierten Hobbywerkstatt des Vaters finden wir eine passende Schraube für meine Clickpedalschuhe und nicht nur das: Ich werde noch dazu mit einer zweiten Sonnenbrille und Warnweste, am nächsten Tag zusätzlich mit Proviant, Klopapier und mehr ausgestattet.

22 Uhr – Zeit für das Abendbrot – Pizza, ein Familienburger und ebenso wunderbarer Nachtisch erwarten uns.

Am nächsten Tag soll es nach dem Frühstück losgehen – der Fürsorge noch nicht genug lassen Francesco und seine Mutter es sich nicht nehmen, mich bis Rada Tilly „über den ersten Berg“ zu bringen. Das klappt auch fast, bis der Verkehr kurz vor dem Ziel stoppt: Schwarzer Rauch, Polizei, ein Unfall? Nein: „Un March“ – Arbeiter protestieren mit Straßensperre und brennendem Reifen. Autos kommen nicht durch. Francesco hält jedoch Rücksprache mit dem Streikposten und Typen mit Fahrrad dürfen natürlich passieren. Nach herzlicher Verabschiedung geht’s nun also los, die ersten wackligen Meter unter Anfeuerung der streikenden Arbeiter und den ersten Berg hinauf – die ersten hundert Meter solle ich zur Sicherheit nicht anhalten. Aber mir will keiner was, alles gut. Dank Straßensperre hält sich der Verkehr anfangs in Grenzen. Auf der Abfahrt schwankt das Rad – die Gewichtsverteilung ist noch nicht optimal. Nach Rejustierung von Rucksack und Wasserflaschen liegt das Rad jedoch wesentlich stabiler auf der Straße. Tagesziel: Caleta Olivia – knapp 75 km weiter südlich. Dort erwartet mich Mauro von Warmshowers.

Der Weg dorthin ist trotz einiger Anstiege auf 200 m traumhaft: Immer wieder nah am Meer entlang, mit Panoramaausblick von kleinen Bergen aus. Und: Die Ruta Nacional 3 wird wohl auf 41 km erneuert – parallel zur aktuellen Straße gibt es somit bis zu vier für den Verkehr noch gesperrte Spuren, ab und an durch Kieshaufen oder einige hundert Meter Schotter unterbrochen. Eröffnet werden soll diese neue Piste 2017 – ich glaube aber nicht, dass dies bis Jahresende erfolgt. Markierungen fehlen, gegen Ende auch noch einige Kilometer Asphalt und an mancher Stelle bröckelt ebendieser schon wieder. An vielen Stellen sieht man kleine Gedenkstätten. Häufig insbesondere für die auf einer Reise verdurstete Frau, deren Baby lebend gefunden wurde, an der Brust der Muter saugend. An diesen Gedenkstellen ist es Brauch, Flaschen mit Wasser abzulegen (siehe Galerie).

Für mich ist es jedenfalls der größte Radweg der Welt – rechts Pampa, links, teils weniger als 100 Meter entfernt, das Meer, nirgends Schatten. Die „große“ Mittagspause wird daher in einem Wasserrohr unter der Straße abgehalten – da gibt es Schatten. Außer zwei verlassenen Gebäuden am Straßenrand gab es zuvor nichts. Kurz vor Caleta gibt es dann nochmal Seerobben, die scheinbar die Angler am Ufer ärgern und dabei ihren Spaß haben. Auf den Abschnitten abseits meines privaten Highways merkt man die Wucht der LKW: Unabhängig davon, dass einige kaum Platz lassen, geschweige denn abbremsen (der Großteil verhält sich aber rücksichtsvoll und bei Verkehr von hinten und Gegenverkehr weicht man eh in den Schotter aus), ist deren Sogkraft beim Überholen sehr stark. Entgegenkommende LKW schieben dafür solche Luftmassen vor sich hin, dass man abrupt abgebremst wird. Zur Sicherheit clicke ich dann lieber die Pedale aus und schalte runter, um besser ausbalancieren zu können. Die auf Luftdruck basierende Höhenmessung des Radcomputers wird dabei so stark irritiert, dass auf gerader Strecke bei Begegnung mit Trucks kurzzeitig bis zu 4% Steigung angezeigt werden (dabei zieht der Tacho den Durchschnitt der letzten 50 – 100 Meter).

Am Nachmittag komme ich in Caleta Olivia an – kleiner als Comodoro, aber mit Promenade und etlichen Kötern, die mich auf den letzten Metern ankläffen und verfolgen – kein Spaß und gerade in den hügeligen Straßen gäbe es auch keine Chance, den Viechern zu entkommen. Kaum ist einer abgeschüttelt, wartet schon der nächste. Aber Hunde die bellen … so auch heute.

Mauro empfängt mich mit Tee, wir Teilen unser Obst, später noch Gebäck. Sein Kumpel, der auf seine erste Radtour spart kommt vorbei. Mauro arbeitet nur halbtags, um sich die restliche Zeit im freien Kulturzentrum zu engagieren, sich um seinen kleinen improvisierten Garten zu kümmern und vermutlich auch um an seinen Rädern zu schrauben. Er interessiert sich sehr für den Greifswalder Kulturkalender, da er eine Kulturplattform für Caleta auf die Beine stellen will. Später fahren wir noch zur Promenade und schauen uns das Kulturzentrum an. Der Sonnenuntergang am Wasser ist traumhaft, an den Riffen gibt es wohl Austern, die Flut kommt gerade wieder. Später wird noch am kleinen Gewächshaus gegrillt bevor ich mich in Mauros Hängematte im Wohnzimmer zur Nacht bette.

 

Am Morgen letzte Besorgungen – Ersatz für eine gebrochene Schnalle an einer der Radtaschen wird benötigt. Nach dem Mittag breche ich auf – 75 km bis Fitz Roy, Rückenwind wurde vorher gesagt. Mauro begleitet mich auf seinem Rad noch bis zur Stadtgrenze. Am Anfang gibt es noch ein paar Ölpumpen, die Straße führt entlang der Küste, biegt dann aber bald ins Landesinnere ab. Dank Rückenwind sind auch die Sog- und Druckwirkungen der LKWs weniger schlimm.

Fitz Roy ist der letzte „Ort“ für die nächsten paar Hundert Kilometer. Danch folgen noch die Tankstelle mit Hotel Tres Cerros (ca. 130 km) und nach weiteren 130 km dann Puerto San Julian – wieder mit Supermarkt etc.

Gegen 18 Uhr erreiche ich die Ortschaft, in der Tankstelle gibt es Tee und WIFI – fast schon ein Ritual. Statt eines als günstig angepriesenen Hostels finde ich nur Cabanas – ab 20 EUR, einen Minishop mit Zimmern um die 18 EUR und neben der „Touristinfo“ den Campingplatz. Vollkommen leer werde ich dort wohl zum ersten Gast der Saison. Gesellschaft bietet mir ein Hund, dem ich aber kein erhofftes Leckerlie reichen kann. Die Dusche im Sanitärverschlag bietet kaltes Wasser und wurde wohl schon länger nicht mehr benutzt geschweige denn gepflegt. Die Toilette … funktioniert immerhin. Auch ohne Klobrille.

Immerhin gibt es große Kabelrollen aus Holz als Tische und Bänke sowie am wichtigsten: etwas Windschutz für das Zelt. Der Kocher wird eingeweiht und bald schon geht’s bei einstelligen Außentemperaturen in den daunengefüllten Schlafsack. Der nächste Tag ist als Ruhetag geplant – sehr starker Südwind lässt nicht ans Weiterfahren denken – nicht für 130 km, nicht bei ungesicherter Versorgungslage.